EXPORT- UND ZOLLPRAXIS KOMPAKT
Die Güterbeförderung der Zukunft – quo vadis?
Probleme und Auswirkungen auf die verladende Wirtschaft
Text: Siegfried W. Kerler | Foto (Header): © TTstudio – stock.adobe.com
Die Corona-Pandemie und auch andere Entwicklungen auf politischer und rechtlicher Ebene haben die Speditions- und Transportbranche in den letzten Monaten stark verändert. Viele Unternehmen schränkten ihren eigenen Fuhrpark stark ein und lagerten stattdessen ihre logistischen Bedürfnisse an Subunternehmen aus. Wohin die Reise der Güterbeförderung in den nächsten Jahren führen wird, ist derzeit noch offen, doch lassen sich anhand der jüngsten Entwicklungen einige Tendenzen feststellen. Eine Brancheneinschätzung.
Auszug aus:
Zoll.Export
Ausgabe August 2021
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Der Fuhrpark als Kostenfaktor stellte sich in den vergangenen Jahren für die Speditions- und Transportbranche als immer problematischer dar, weil adäquate Erlöse trotz hektischer Kostensenkungsmaßnahmen immer weniger zu erwirtschaften waren. Hinzu kommt, dass sich die Lage auf dem Speditions- und v. a. auf dem deutschen Transportmarkt und der Güterbeförderung dramatisch zuspitzt.
Hiobsbotschaften von allen Seiten
Von allen Seiten prasseln die Hiobsbotschaften auf die Unternehmen ein: Das Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform (die sog. Ökosteuer), verschärfte Umweltauflagen, entfernungsabhängige Straßenbenutzungsgebühr auch auf Bundestraßen und für Fahrzeuge über 7,5 t zulässiger Gesamtmasse (zGM); Betriebsarztreglungen auch für Kleinstunternehmen; Nachunternehmerhaftungen für Sozialvorschriften und KEP-Dienste (Paketboten-Schutz-Gesetz).
Außerdem die Erweiterung des digitalen Fahrtenschreibers; verschärfte Gewichtskontrollen (Verwiegung von Einzelachsen); Erhöhung der Gebühren, verbunden mit Strafpunkten bei Verkehrsverstößen auch für den Fahrzeughalter; explosionsartiger Anstieg von Versicherungsprämien; Einführung der Berufskraftfahreraus- und -weiterbildung und nicht zuletzt das Mindestlohngesetz und drohende Anpassung der Strafen im Schwerverkehrsbereich durch die Europäische Union (EU) im Zuge des Katalogs der Verstöße.
Hinzu kommt das größte Problem in Sachen eigener Fuhrpark, nämlich der Fahrermangel, der zwar vorübergehend mit dem Einsatz von Fahrpersonal aus anderen Staaten wie Polen oder Ungarn kompensiert wurde – der „Nachschub“ aber tendiert gegen null, da die Fahrer inzwischen außerhalb der Branche in den Ländern ebenso genügend Arbeitsplätze finden können. Diese Punkte sind nur eine willkürliche Aufzählung, die beliebig erweitert werden kann und welche bei vielen Speditionen die Schlussfolgerung hervorruft, den Fuhrpark zu reduzieren. Dies wurde in den letzten Jahren von einer Vielzahl der Speditionen dann auch umfangreich realisiert.
Eigener Fuhrpark vs. Subunternehmen für die Güterbeförderung
Ersetzt wurde der eigene Fuhrpark durch Subunternehmer, auch viele aus den Nachbarländern, was in den meisten Fällen über längere Zeit fast problemlos funktionierte. Doch auch in dieser Hinsicht ist das „Ende der Fahnenstange“ bald in Sicht.
Erkennbar wird dieser Trend durch die Mitteilung des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) welche erkennen ließ, dass im 1. Quartal 2021 nur 57,5 % der mautpflichtigen Güterbeförderungen in Deutschland durch deutsche Unternehmen durchgeführt wurden.
Zu den branchentypischen Problemstellungen kam in den Jahren 2020/2021 die durch die Corona-Pandemie bedingte Wirtschaftskrise hinzu, die den Abbau des Fuhrparks über Fahrzeugreduzierungen und Betriebsaufgaben verstärkt hat. Und dies nicht nur in Deutschland. Unternehmen der reinen Transportbranche in Deutschland, die bis heute wirtschaftlich überlebt haben, gebührt meiner Einschätzung nach besonderer Respekt, insbesondere in den Fällen, wo sie ihren Betriebssitz in den neuen Bundesländern haben. Doch diese Unternehmen werden immer mehr zu Exoten in der Branche.
Outsourcing in der Logistik
In Sachen Zusatzlogistik der Teilbereiche Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Redistributionslogistik gab es im vergangenen Jahrzehnt eine regelrechte Outsourcingwelle. Denn kleine und mittlere Industrie- und Handelsbetriebe hatten das Bestreben, sich auf ihre sog. Kernbereiche Produktion und Marketing zu konzentrieren, und haben Teilbereiche oder gar die gesamte Güterbeförderung an die meist größeren Dienstleister / Speditionen komplett abgegeben.
Eine Ursache war auch, dass die traditionelle Bündelung kleiner Sendungen durch den Großhandel in manchen Bereichen nahezu weggefallen ist. Außerdem hat die daraus resultierende Kleinteiligkeit der Sendungen zugenommen, was dann schlussendlich eine aufwendigere Logistikorganisation erforderte.
Inzwischen haben viele dieser Unternehmen festgestellt, dass sie von diesen Dienstleistern stark abhängig geworden sind und dass Güterbeförderung doch auch zu ihren eigenen Kernfunktionen gehören sollte und muss. Hinzu kommt, dass nach einer kurzen „Verschnaufpause“ die Preise für die Leistungen, bedingt durch die totale Abhängigkeit, nur eine Richtung kennen. Und zwar nach oben, und das überproportional und in immer größerer Geschwindigkeit.
Die Lage auf dem Markt im Frühjahr 2021
Die Pandemie bremste das Problem der Güterbeförderung im Ganz- und Teilladungsverkehr zunächst einmal ab. Nur im Paketdienstbereich ist der Boom der vergangenen Jahre noch stärker. Auch dort wird es immer schwieriger, genügend zuverlässiges Fahrpersonal zu finden, obwohl aufgrund der Fahrzeuggröße (2,8 t zGM) die administrativen Voraussetzungen für die Frachtführer wesentlich niedriger angesetzt sind als bei der Güterbeförderung über 3,5 t zGM.
Durch die Störung der internationalen Prozessketten der Logistik auf See hat sich das Gesamtaufkommen der Transportgüter vorübergehend reduziert. Dies hängt zum Beispiel mit der vorübergehenden Blockierung des Suezkanals zusammen. In der Luftfracht liegt es an der Hemmung der Mitnahme durch Passagiermaschinen.
Aber nach und nach wird schon bemerkbar, dass sich die internationalen Märkte und der Bedarf an Transportkapazitäten erholen. Dabei ist dies nicht nur im Landverkehr der Fall, sondern auch an anderen Stellen. Das voranschreitende Impftempo in den im- und exportierenden Ländern sorgt für die zunehmende Erholung der Märkte.
Selbst bei vorsichtiger Einschätzung gehen viele Experten davon aus, dass sich die Lage nun zunehmend normalisieren wird. Außerdem kann man davon ausgehen, dass eine Bugwelle an großen und mitunter auch langfristigen Aufträgen durch einen gewissen Einkaufs- und Investitionsstau, der sich während der Hochphase der Pandemie angehäuft hat, danach abgearbeitet werden wird. Im Zuge dessen wird die Nachfrage nach Transportkapazitäten aller Verkehrsträger in der Güterbeförderung bis zum Jahresende 2021 stark steigen. Wenn man sich die aktuellen Zahlen anschaut, läuft die Erholung der Wirtschaft offensichtlich etwas schneller als erhofft. Es wird meines Erachtens allerdings noch bis Mitte 2022 dauern bis die Zahlen des Jahres 2019 übertroffen werden und die Wirtschaft insgesamt wieder auf einem stabilen Kurs läuft.
Zukunftsprognose für die Güterbeförderung
Wenn nun die Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnt und die Nachfrage nach Transportkapazität nachhaltig steigt, bleibt dennoch die Frage offen, ob die Transportunternehmen und Speditionen ihre Fuhrparks gemäß dieser Entwicklung anpassen können.
Zu einem gewissen Teil wird dies zwar gewiss der Fall sein, allerdings hemmt ein größerer und dauerhafter Engpass – nämlich der des mangelnden Fahrpersonals – die Transportunternehmen. Dieser Engpass hängt mit der Altersstruktur des Fahrpersonals zusammen, die nach der Statistik des BAG zurzeit ca. 54 Jahre beträgt. Dies bedeutet, dass in den nächsten fünf Jahren ungefähr 40 % aller aktuell beschäftigten Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden. Dabei geschieht dies ohne genügend Nachwuchs, der diese Lücken füllen könnte.
Ursachen für fehlenden Nachwuchs
Zu den „Nachwuchsverhinderern“ zählt zum einen die umgedrehte Alterspyramide innerhalb der Bevölkerung. Zum anderen liegt die Problematik in der neuen Berufskraftfahrerqualifikation, die den Führerschein exorbitant teuer macht. Denn die Kosten für den Führerschein liegen derzeit zwischen 8.000 und 14.000 Euro. Außerdem ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die schlechte Bezahlung in Verbindung mit den zum Teil unzumutbaren Arbeitsbedingungen der Kraftfahrer einfach nicht einem zukunftsfähigen Arbeitsmodell entspricht. Darüber hinaus fehlen Chancen zur persönlichen Weiterentwicklung.
Eine weitere mögliche Nachschubquelle potenzieller Berufskraftfahrerinnen und -fahrer lag lange Zeit darin, dass auch Mitglieder der Bundeswehr über Führerscheine im C-Klassenbereich verfügten. Dadurch wurden Defizite in der Güterbeförderung geschlossen. Mit dem Wegfall der Wehrpflicht ist diese Quelle jedoch ebenfalls zu großen Teilen versiegt.
Zu diesem Problem kommt außerdem noch das schlechte „Finanzimage“ der Transportwirtschaft bei den Kreditgebern hinzu, sodass größere Investitionen in Fuhrparks behindert werden. Selbst Leasinggesellschaften verhalten sich sehr zurückhaltend. Denn ohne Bankbürgschaft gibt es häufig keinen Lastkraftwagen.
Ausländische Unternehmen als Lückenfüller in der Güterbeförderung
Wie schon bei der Auslagerung von Logistikdiensten stellt sich auch an dieser Stelle die Frage, ob z. B. ausländische Unternehmen die Lücken wieder füllen können. Auch in dieser Hinsicht wird davon ausgegangen, dass dies nur in sehr eingeschränkter Form der Fall sein wird. Zum einen haben sie dieselben Probleme wie die deutsche Konkurrenz. Des Weiteren explodieren die Löhne durch die neue EU-Arbeitnehmerfreiheit. Zuletzt müssen nun auch die Verlader mehr auf die Qualitätsmerkmale wie Ladungssicherung und die Beachtung der Sozialvorschriften achten, da sie seit 2006 bei Verstößen mit bestraft werden.
Hinzu kommt eine neue EU-Vorschrift wonach EU-Ausländer auch nicht unbeschränkt in Deutschland in der Güterbeförderung tätig sein dürfen und die Auftraggeber bei verbotener Kabotage mit bestraft werden. In einigen Bereichen zeichnet sich auch eine für Dritte fast unsichtbare Oligopolentwicklung durch Aufkäufe mittlerer Speditionen, v. a. im Paketgut- und Sammelgutbereich, ab. Unter dem Begriff versteht sich eine Marktform, bei welcher nur wenige Marktteilnehmer in einem zunehmenden Konzentrationsprozess bereits den kompletten Bedarf an Gütern abdecken.
Ein weiterer Punkt ist das stille „Sterben“ kleiner Transportunternehmen aus altersbedingten Gründen, bei denen sich der Nachwuchs aus wirtschaftlichen Gründen anderweitig orientiert. Start-up- Unternehmen im Bereich Transport gibt es im Gegensatz zu vor 20 Jahren nicht mehr in nennenswertem Umfang – was nicht nur sog. Sofa-Spediteure schmerzlich feststellen müssen. Die zunehmend konzernartige Struktur in Logistikunternehmen wird, getrieben auch durch die Digitalisierung, ihre Flexibilisierung verlieren. Dies trifft dann v. a. kleine und mittlere Verlader, die über keine oder eine nur sehr eingeschränkte Logistikorganisation verfügen.
Empfehlungen für die verladende Wirtschaft
Sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft stellen einige Herausforderungen an die verladende Wirtschaft. Folgende Hinweise können Ihnen bei der Bewältigung behilflich sein:
- noch vorhandene kleine und mittlere Speditionen mit eigenem Fuhrpark für den nationalen und EU-Verkehr „pflegen“, um den Großbetrieben nicht ausgeliefert zu sein
- kein Teiloutsourcing / Komplettoutsourcing der Logistikorganisation an Dritte
- eine eigene leistungsfähige Logistikorganisation national und international bestückt mit Fachleuten aufbauen bzw. erhalten
- einen evtl. vorhandenen Werkverkehr professionalisieren und keinesfalls abbauen für den eigenen Fuhrpark Berufskraftfahrer ausbilden
- eigenes Fachpersonal entsprechend aus- und weiterbilden
- Transportprozesse optimieren und die ganze Transportkette dabei im Blick haben (z. B. Kombination von Eingangs- und Ausgangsfrachten)
- alternative Antriebsarten für den eigenen Fuhrpark (Pkw, Lkw) auf Einsatzreife testen
- Für die Unternehmen, die ihre Logistik wieder in die eigenen Hände nehmen wollen, was zurzeit durchaus ein zu beobachten Trend ist: Holen Sie sich neutrale Beratung und bereiten Sie die Rückholung gründlich vor. Man muss nicht alles selber machen, aber das „Steuer“ für Logistikprozesse sollte man in der eigenen Hand haben.
Fazit für die Güterbeförderung
Die Verladerschaft muss sich verstärkt auf einen Engpass auf der Transportseite, nicht nur in der Luftfracht und Seefracht, sondern auch im Straßengüterverkehr, mittelfristig einstellen. ,Dies wird zwangsläufig eine Verschlechterung der Transportqualität sowie die Erhöhung der Transport-, Speditions- und Logistikpreise zur Folge haben wird. Nur durch eine Vergabe von Transport- und Logistikleistungen an kleine und mittlere Unternehmen kann der Konzentration auf Konzernlogistiker entgegengewirkt werden. So sind Monopolstellungen vermeidbar. Denn was nützt das beste Produkt, wenn es nicht zuverlässig und pünktlich beim Kunden ankommt?
Der Autor
Siegfried W. Kerler
ist Inhaber der K & K Consult in Oberhausen. Herr Kerler arbeitet als Dozent, Ausbilder und Berater in Fuhrpark und Logistikfragen. Darüber hinaus ist er Autor diverser Fachbücher.
Kontakt:
E-Mail: s.kerler@kuk-consult.de