Digitalisierung von Zollprozessen: Möglichkeiten & Grenzen - zoll-export.de

Digitalisierung von Zollprozessen: Möglichkeiten & Grenzen

IT-Organisation der Zoll- und Exportkontrollfunktion

Text: Angela Fankhänel und Thomas Tomuscheit | Foto (Header): © Shinonome Production – stock.adobe.com

Unternehmen wie auch die Zollverwaltung haben in den vergangenen Jahren in großem Umfang Digitalisierungspotenziale ihrer Arbeitsprozesse identifiziert bzw. bereits umgesetzt. In diesem Beitrag soll näher beleuchtet werden, wo in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten und ggf. die Grenzen liegen.

Auszug aus:

Zoll.Export
Ausgabe Februar 2021
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Industrie 4.0 – intelligente, elektronisch vernetzte Systeme sowie revolutionäre Datenspeichermethoden sind auf dem Vormarsch. Menschen, Maschinen und Produkte werden direkt miteinander vernetzt. Die vierte industrielle Revolution hat begonnen, und sie hat weitreichende Auswirkungen, denn das Thema Digitalisierung betrifft Unternehmen in gleichem Maße wie Behörden.

 

Digitalisierung von Zollprozessen und im Exportkontrollkontext

Die deutsche Zollverwaltung hat – wie auch andere Zollverwaltungen weltweit – bereits Anfang der 2000er-Jahre damit begonnen, die Zollanmeldeprozesse sowie die Verbescheidung von Zollanmeldungen in ATLAS auf elektronischem Wege abzuwickeln. Sukzessive kamen in diesem Zusammenhang mehr und mehr Zollverfahren hinzu, sodass die Prozesse diesbezüglich bereits seit einigen Jahren vollautomatisiert ablaufen.

Der ATLAS-Release 9.0 und AES-Release 2.4.4 ist nun eine weitere Anstrengung, um den Austausch von Dokumenten und Nachrichten mittels der IT-Anwendung ZELOS in der ATLAS-Umgebung zu ermöglichen und dadurch Medienbrüche und Kommunikationsdefizite zu beseitigen. Eine standardmäßige Hinterlegung der sendungsbegleitenden Dokumente in der Zollsoftware, sodass diese von der betreffenden Zollstelle automatisiert abgefragt werden könnten, wäre in diesem Zusammenhang sicherlich noch eine zusätzliche sinnvolle Erweiterung der Digitalisierung von Zollprozessen für Verwaltungs- wie für Unternehmensseite.

Die Digitalisierung auf Verwaltungsseite hat in der Folge auch Unternehmen dazu bewogen, das bis dato vorgesehene Einheitspapier nach und nach ad acta zu legen und Zolldeklarationsprozesse ebenfalls zu digitalisieren. In Abhängigkeit von der individuellen Gestaltung implementierten Unternehmen in der Folge Zoll-IT-Lösungen oder bauten einen schnittstellenbasierten Datenaustausch mit ihren Zolldienstleistern auf.

Für die Industrie 4.0 ist jedoch das Internet die zentrale Technologie. Während Unternehmen sich bereits auf dem Weg zu einer weltweiten Vernetzung über Unternehmens- oder Ländergrenzen hinweg und einer digitalen Produktion befinden, sind aktuell die wenigsten Zollkodifikationen geeignet, den Herausforderungen von Blockchain, Maschine-to-Maschine-Kommunikation, Crypto Currencies, Micro Payments etc. zu begegnen.

Die neuen Geschäftsmodelle bringen umfangreiche Änderungen mit sich: Handelswege, die auf Basis von Algorithmen kontinuierlich ideale Lieferwege berechnen. Maschinen, die selbstständig melden, wenn sie neues Material benötigen, und eigenständig ermitteln, wo auf dem Globus sie dieses beschaffen. Neue Transportmöglichkeiten wie Drohnen oder selbst fahrende Fahrzeuge bringen neue Herausforderungen für Kontrollen und benötigen angepasste gesetzliche Rahmenbedingungen.

Daten als solche werden somit sowohl für Unternehmen als auch für Zollverwaltungen zum eigentlichen Kern ihrer Operationen.

 

Identifikation von Digitalisierungspotenzialen

Häufig sind Zoll- und Exportkontrollfunktionen im Rahmen von unternehmensweiten Digitalisierungsinitiativen eher „Projektzuleister“ als Projektsponsor und können dadurch oftmals keinen unmittelbaren Vorteil herausziehen, der sich in den Zoll- und Exportkontrollprozessen niederschlagen würde.

Gleichwohl sollte eine Zoll- und Exportkontrollfunktion ebenfalls die Möglichkeiten einer eigenen (weiterführenden) Digitalisierung von Zollprozessen analysieren, um dadurch Potenziale zu identifizieren, durch deren Umsetzung ein zoll- bzw. exportkontrollbezogener Mehrwert entstünde.

Doch wie gelingt es, brachliegende Digitalisierungspotenziale von Prozessen im Zoll- und Exportkontrollbereich zu identifizieren? Zunächst könnten die Zuständigen eine vollständige Erfassung der relevanten Kernprozesse im Rahmen eines Process Mapping vornehmen. Diese Bestandsaufnahme, z. B. mit einer Kategorisierung nach RACI (Responsible, Accountable, Consulted, Informed) oder RASIC (Responsible, Approve, Support, Inform, Consult) bildet den Einstieg in und die Grundlage für alle folgenden Phasen eines Projekts zur Digitalisierung von Zollprozessen.

Weitere Schritte

 

In einem nächsten Schritt gilt es, Qualität und Effizienz der bestehenden Prozesslandschaft zu evaluieren und die gewonnenen Erkenntnisse in die Formulierung je eines prozessbezogenen Zielbildes zu überführen. Die Beseitigung identifizierter Prozessschwächen steht hierbei im Vordergrund, da die Digitalisierung fehlerhafter Prozesse sicherlich nicht gewollt und zielführend ist.

Die Frage, welcher Digitalisierungsgrad im jeweiligen Prozess zielführend wäre, ist dabei höchst individuell. Versucht man hierbei, die auf den jeweiligen Prozess bezogenen Digitalisierungspotenziale und -bedarfe zu identifizieren, können folgende Überlegungen herangezogen werden:

  • Existieren in den zu bewertenden Prozessen manuelle, fehleranfällige Prozessschritte, welche automatisiert werden könnten?
  • Bestehen Medienbrüche (E-Mails, Excel-Dateien) in der Datenübertragung anstelle von IT-basierten Schnittstellen?
  • Bindet der Prozess überproportional hohe Ressourcen, sodass Ineffizienzen entstehen?
  • Sind in der Vergangenheit prozessbedingt Rechtsverstöße aufgetreten?

Einleitung von Umsetzungsmaßnahmen

Im Hinblick auf die Einleitung der Umsetzungsmaßnahmen zur Erreichung des angestrebten Digitalisierungspotenzials bietet sich aus konzeptioneller Sicht die Erarbeitung einer „Digital Roadmap“ an. Diese sollte im Wesentlichen eine Priorisierung der Umsetzungsmaßnahmen (z. B. nach Compliance-Kriterien und Business Value) beinhalten und dabei aus Kosten- und Effizienzgründen auf einen höchstmöglichen Standardisierungsgrad der Fachprozesse hinwirken.

Je nach Bedeutung und Folgenabschätzung der Prozessänderungen sollten die Beteiligten einbeziehen, inwieweit gezielte Maßnahmen des Veränderungsmanagements das Projekt unterstützen bzw. begleiten könnten.

 

Beispiele für Digitalisierungspotenziale

Digitalisierung von Zollprozessen und der Exportkontrolle findet i. d. R. dann im Unternehmen Akzeptanz, wenn hierdurch nachweisbar ein Mehrwert entsteht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Sie dadurch

  • das Compliance-Level erhöhen können, beispielsweise durch den Wegfall von Fehlerquellen infolge von manuellen Prozessen oder Medienbrüchen,
  • die Effizienz von Zoll- und Exportkontrollprozessen und damit zusammenhängende Schnittstellenprozesse steigern,
  • eine Ablösung manueller Prozessen durch Automatisierung erreichen und dadurch Transparenz und Auswertbarkeit ermöglichen,
  • Kontrollen bzw. das Risikomanagement allgemein weitestgehend automatisieren und ohne enorme Ressourcenbindung ablaufen lassen,
  • die Analyse, die Auswertung, die Modellierung und das Reporting von Stamm- und Transaktionsdaten zeitnah und elektronisch stattfinden lassen und dadurch die erforderliche Transparenz in Bezug auf Risiken und Einsparpotenziale geschaffen wird.

 

Umsetzung von Digitalisierungsprojekten

Viele Unternehmen haben bereits vor Jahren angefangen, zentrale Standardsoftwarelösungen für Zollmanagement und Exportkontrolle einzuführen. In den jetzt kommenden Digitalisierungsprojekten zahlt sich diese Strategie der integrierten Plattform aus. Sie ist die Basis für weitere Automatisierungspotenziale, für die Schaffung von globalen Templates und die Abgrenzung zu Lokalisierungsthemen im Projekt. Am Beispiel eines einfachen Verkaufsprozesses lässt sich dies gut verdeutlichen:

Jemand legt einen Auftrag an einen Kunden im Warenwirtschaftssystem an. Die über Schnittstellen angebundene Softwarelösung für Zoll- und Exportkontrolle erhält die Daten im Hintergrund zur Prüfung. Das Programm prüft sämtliche Geschäftspartneradressen, das Zielland und alle Materialien werden entsprechend bezüglich Sanktionslisten, Embargos und exportkontrollrechtliche Bedingungen.

Ist eine Bedingung nicht erfüllbar, z. B. weil eine erforderliche Ausfuhrgenehmigung nicht vorliegt, sperrt das Programm den Auftrag umgehend. Nur ein für die Exportkontrolle zuständiger Mitarbeiter kann ihn jetzt noch entsperren, z. B. anhand der systemischen Bestätigung, dass die erforderliche Ausfuhrgenehmigung nun vorliegt.

Wie geht es weiter?

In klassischen Warenwirtschaftssystemen erfolgt nun die Anlage einer Lieferung und evtl. eines Transports. Auch hier durchlaufen die Daten oftmals sämtliche Exportkontroll-Prüfschritte automatisch erneut. Der Zeitpunkt des Warenausgangs wird oft gewählt, um nun die Daten für die Ausfuhrzollanmeldung an die Zollsoftware zu senden. In der Zollsoftware erfolgt die Anlage eines Zollbelegs, inkl. der Ergänzung der mit Stammdaten aus der Zollsoftware, wie z. B. Zolltarifnummern.

Auf Basis von intelligenten Logiken können manche Zollsoftwarelösungen weitere erforderliche Informationen wie die Ausgangszollstelle automatisch auf der Grundlage der Route ergänzen. Im Idealfall sind die Daten aus dem Warenwirtschaftssystem, die Stammdaten in der Zollsoftware und darin hinterlegte Logiken ausreichend, um die erforderlichen Daten für die Ausfuhrzollanmeldung automatisch einzutragen.

Die Übermittlung des Belegs an die Zollbehörde erfolgt elektronisch. Diese sendet dann eine Überlassung zurück. Sobald der Ausgang an der EU-Außengrenze erfolgt ist, wird der Ausgangsvermerk als letzte elektronische Nachricht übermittelt. Einige Unternehmen haben hier bereits eine fast 100%ige Automatisierung erreicht.

 

Grenzen der Digitalisierung von Zollprozessen

Industrie 4.0 umzusetzen, ist ein komplexes Vorhaben, denn je mehr Abläufe die Unternehmen und Behörden digitalisieren und vernetzen, desto mehr Schnittstellen entstehen zwischen den verschiedenen Akteuren.

Dies erfordert einheitliche Normen und Standards über Ländergrenzen hinweg. Die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz spielen dabei eine ebenso zentrale Rolle wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen, denen neue Geschäftsmodelle und Entwicklungen kontinuierlich folgen müssen.

Eine große Hürde stellt hier nach wie vor der Austausch von Daten zwischen Zoll- und Sicherheitsorganisationen weltweit dar. Konzepte zur „Trade facilitation“ oder „single-window“ gibt es seit den frühen 1090er-Jahren. Wirklich umsetzbar sind sie bis heute nicht. Es ist eher das Gegenteil der Fall:

Die sukzessive Umstellung auf eine elektronische Abwicklung der Zollanmeldeprozesse hat in der EU dazu geführt, dass sämtliche Mitgliedstaaten ein eigenes IT-System entwickelt haben. Aktuell gibt es aber für Unternehmen keinen Anbieter von Standardsoftware, der eine Anbindung an alle Systeme der Mitgliedstaaten anbieten kann.

 

Fazit

Die vierte industrielle Revolution hat begonnen. Sie hat einen wesentlichen Einfluss auf die IT-Organisation der Zoll- und Exportkontrollfunktion. Dabei geht es nicht nur um Digitalisierung von Zollprozessen, sondern um eine ganzheitliche Transformation.

Die Digitalisierung der Zollbehörden kann nur mit einer vorgängigen Vereinfachung und auf Digitalisierung ausgerichteten Veränderung aller Zollprozesse einhergehen. Denn die Digitalisierung der Unternehmen darf bei der Umstellung weder den rechtlichen Rahmen noch die wirtschaftlichen Vorteile aus den Augen verlieren. Zentrale Plattformen für Zoll- und Exportkontrolle, eingebunden in die neuen vernetzten Systeme und Prozesse, sind langfristig der Schlüssel zum Erfolg.

Rollen werden sich ändern, Kooperationen immer wichtiger werden. Im Idealfall werden „obrigkeitliche Behörden“ und staatliche Institutionen zu einem starken Partner von Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Autoren

Angela Fankhänel ist freiberufliche Unternehmensberaterin im Bereich Zoll-IT. Seit über 20 Jahren stehen die Entwicklung, Auswahl und Implementierung von Standardsoftwarelösungen für Zollabwicklung und Exportkontrolle im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit.

Kontakt:

Tel.: 0173 94 93088

E-Mail: angela.fankhaenel@zoll-it.com

Michael Tomuscheit, LL.M., Diplom-Finanzwirt (FH), ist Geschäftsführer der AWB Consulting GmbH, München. Umsetzungsberatung in Bezug auf Zoll und Exportkontrolle mit hohem Praxisbezug in den Bereichen Projektmanagement, Prozesse und Organisation bildet dabei den Schwerpunkt seiner Tätigkeit.

Kontakt:

Tel.: 089 24214778-381

E-Mail: michael.tomuscheit@awbconsulting.de

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