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EXPORT UND LOGISTIK

Lieferkettenprobleme

Herausforderungen bei der internationalen Rechtsdurchsetzung

Text: Dipl.-Reg.-Wiss. Katharina Klenk-Wernitzki| Foto (Header): © tuastockphoto – stock.adobe.com

Insbesondere Russlands Krieg gegen die Ukraine sowie die mittlerweile gelockerte Corona-Politik der Volksrepublik China haben in den letzten Jahren zu immensen Verzögerungen und Ausfällen in der globalen Lieferkette geführt. Dies hatte bei vielen Unternehmen erhebliche Schäden zur Folge. Weitere Herausforderungen in den Lieferketten ergeben sich aus dem seit 01.01.2023 national geltenden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Ein Verstoß gegen die dort aufgeführten Sorgfaltspflichten kann zu mannigfaltigen Schäden führen, Ein europäisches Pendant zum Lieferkettengesetz steht bereits in den Startlöchern.

Auszug aus:

Zoll.Export
Ausgabe August 2023
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Es stellt sich vielmals die Frage, ob und inwieweit Ersatzansprüche gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber Zulieferern, geltend gemacht werden können. Gleichzeitig gilt es zu klären, ob entsprechende Forderungen vonseiten eigener Kunden drohen können. Die Herausforderungen bei der Rechtsdurchsetzung in der internationalen Lieferkette sind komplex. Denn häufig treffen unterschiedliche Rechtsvorschriften und Gerichtsstände aufeinander.

Wahl des richtigen Gerichtsstands

Kommt es zu einer gerichtlichen Durchsetzung der eigenen Ansprüche, ist der richtige Gerichtsstand eine erste Herausforderung und sollte bereits in der Vertragsgestaltung beachtet werden. Wenn im Vorfeld keine Gerichtsstandklausel vertraglich festgelegt wurde, müssen Unternehmen nämlich i. d R. vor die staatlichen Gerichte am Sitz des Vorlieferanten ziehen. Hier können sich die Neutralität und die Qualität der Gerichte sowie die Dauer der Gerichtsverfahren sehr unterscheiden. Bei Wahl eines deutschen Gerichtsstands ist unbedingt darauf zu achten, dass die Vollstreckbarkeit deutscher Urteile auch im Ausland gewährleistet ist. Dies ist vielfach nicht oder nur eingeschränkt der Fall. Daher kann eine sog .Schiedsabrede von Vorteil sein. Denn über die New York Convention ist eine Vollstreckbarkeit nahezu weltweit gewährleistet.

Materielle Rechtsfragen mit unterschiedlichen Antworten

Bei Lieferstörungen stellen sich häufig materielle Rechtsfragen, etwa, ob im konkreten Fall höhere Gewalt, ein Wegfall der Geschäftsgrundlage oder eine Unmöglichkeit vorliegt – z. B. wenn durch Sanktionsfolgen bestimmte Rohstoffe nicht mehr oder nur stark verteuert zur Verfügung stehen, durch einen Lockdown notwendige Lieferungen ausbleiben oder sich verzögern –, und welche Folgen daraus resultieren. Die Verflechtung verschiedener Vertragsbeziehungen und unterschiedlicher Rechtsordnungen verkomplizieren diese materiell-rechtlichen Fragen, da sie jeweils unterschiedlich beantwortet werden können.

 

Streitverkündung als (un-)geeignetes Instrument bei Mehrparteienproblematik?

Es kann vorkommen, dass auf der einen Seite ein Kunde Ansprüche zugesprochen bekommt, wohingegen in einem Prozess gegenüber dem Vorlieferanten eigene Ansprüche aus demselben Sachverhalt abgelehnt werden. Zur Vermeidung solcher divergierender Entscheidungen gibt es bei innerdeutschen Gerichtsverfahren die Möglichkeit der > Streitverkündung (§§ 72 ff. ZPO).

Durch die mit einer Streitverkündung ausgelöste sog. Interventionswirkung sind tatsächliche und rechtliche Feststellungen des Erstgerichts auch für einen Folgeprozess gegen den Vorlieferanten bindend. Gleichzeitig hemmt die wirksame Streitverkündung die Verjährung möglicher Regressansprüche gegen den Vorlieferanten.

Aber was ist, wenn der Vorlieferant in einem Staat ansässig ist, der eine Streitverkündung nicht kennt? Und welche Auswirkungen hat es auf die Streitverkündung, wenn mit dem Kunden und/oder Vorlieferanten eine Schiedsabrede vereinbart wurde? Falls der Vorlieferant seinen Sitz in der Europäischen Union (EU) hat, ist gemäß Art. 65 Abs. 2 EuGVVO (Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) immerhin gewährleistet, dass das Gericht des Folgeprozesses an die Wirkungen der Streitverkündung gebunden ist. Dies gilt, auch wenn der jeweilige Staat eine Streitverkündung nicht kennt.

Es ist hierbei jedoch wichtig, die besonderen Voraussetzungen nach der Europäischen Zustellungsverordnung (EuZVO) zu beachten. Zudem sollte – auch wenn dies bei innerdeutschen Prozessen nicht Aufgabe des Erstgerichts und daher unüblich ist – unbedingt auf eine Feststellung der Streitverkündungswirkung durch das Erstgericht hingewirkt werden, wenn der Staat des Folgeprozesses das Institut der Streitverkündung (so) nicht kennt.

Außerhalb der EU ist die internationale Streitverkündung noch schwieriger und hängt u. a, von der sog. Verbürgung der Gegenseitigkeit bei der Vollstreckung ab. Sitzt der Vorlieferant etwa in Russlan oder China, ist die internationale Streitverkündung wenig erfolgversprechend. Falls für Streitigkeiten mit dem Kunden und/oder Vorlieferanten eine Schiedsvereinbarung getroffen wurde, ist es ebenfalls fraglich, ob eine Streitverkündung durchführbar ist. In der Regel wird dies nur möglich sein, wenn sich alle Parteien hierauf einigen können. Nur wenige Schiedsordnungen sehen die Möglichkeit einer Streitverkündung vor. In manchen Fällen mag ein Mehrparteienschiedsverfahren möglich sein.

 

Ansprüche bei Schäden im Zusammenhang mit Verstößen gegen Lieferkettensorgfaltspflichten?

Weitere Schäden und potenzielle Streitigkeiten drohen durch das seit Anfang des Jahres in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Schäden können z. B. drohen in Form von Bußgeldern, Reputationsverlusten, Geschäftsunterbrechungen, Ausschluss von öffentlichen Aufträgen oder kostspieligen Anpassungen in der eigenen Beschaffungskette. Das LkSG legt umfassende unternehmerische Sorgfaltspflichten zur Achtung von Menschenrechten und Belangen des Umweltschutzes fest. Zu diesen gehören u. a.

  • die Einrichtung eines Risikomanagementsyst
  • die Durchführung einer Risikoanalyse,
  • die Verankerung von Präventionsmaßnahmen,
  • die Ergreifung von Abhilfemaßnahmen,
  • die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens sowie
  • die Dokumentations- und Berichtspflicht.

Aus einer Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten kann allerdings noch kein Verstoß gefolgert werden, solange das Unternehmen seinen Bemühungspflichten in angemessenen Umfang nachgekommen ist.

Daher stellt sich regelmäßig die Frage, ob bei einer Verletzung entsprechender Sorgfaltspflichten eine Haftung des Unternehmens gegenüber Verletzten oder Kunden drohen kann.

Anders als noch der Regierungsentwurf regelt § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG allerdings ausdrücklich, dass eine Verletzung der Sorgfaltspflichten keine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen begründen soll. Das LkSG stellt daher ausdrücklich kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar. Hierdurch sollen schwer kalkulierbare Haftungsrisiken sowie die Benachteiligung inländischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb vermieden werden.

Eine unabhängig von den neu geschaffenen Sorgfaltspflichten begründete zivilrechtliche Haftung bleibt nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LkSG allerdings ausdrücklich unberührt. Das Bestehen solcher Haftungsansprüche wird insbesondere durch die Regelung des § 11 LkSG impliziert. Demnach kann die Partei, die eine Verletzung einer überragend wichtigen geschützten Rechtsposition i. S. v. § 2 Abs. 1 LkSG beklagt, zur gerichtlichen Geltendmachung ihrer Rechte eine inländische Gewerkschaft oder eine Nichtregierungsorganisation zur Prozessführung ermächtigen (sog. gewillkürte Prozessstandschaft).

Eine solche Haftung kommt allerdings nur nach anderen Rechtsvorschriften und nicht nach dem LkSG in Betracht. Wird die Verletzung von Menschenrechtsstandards durch Vorlieferanten oder Produzenten im Ausland beanstandet, kommt in der Regel das Sachrecht am Ort der Rechtsgutverletzung zur Anwendung (Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO). Bei Anwendbarkeit des deutschen Sachrechts ist fraglich, auf welcher Basis solche Ansprüche geltend gemacht werden können. Dass aus dem Vertrag zwischen Abnehmer und ausländischem Zulieferer Schutzpflichten erwachsen, deren Verletzung Ansprüche Dritter begründen, dürfte von den Gerichten mangels erforderlicher Leistungsnähe und der Schutzbedürftigkeit des Dritten i. d. R. abgelehnt werden. Auch eine Haftung auf Grundlage von vertragsähnlichen Vertrauenstatbeständen durch die nach dem LkSG abzugebende Grundsatzerklärung oder Berichtspflichten scheidet wohl aus.

Eine Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB, bei der das LkSG zur Konkretisierung der Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden könnte, dürfte die Wertung des § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG unterlaufen und daher ebenfalls abzulehnen sein. Schließlich dürfte auch eine Haftung des Unternehmens für Lieferanten aus § 831 Abs. 1 BGB ausscheiden, weil der Lieferant nicht weisungsgebunden und nicht in den Organisationsbereich des Unternehmens eingegliedert ist. Auch ein Tochterunternehmen wird i. d. R. nicht als Verrichtungsgehilfe der Konzernmutter angesehen.

Drohende Ansprüche vonseiten etwaiger Betroffener dürften damit weitgehend ausscheiden. Möglich bleibt – je nach Vertragsgestaltung und erklärter Einhaltung der LkSG-Pflichten – allerdings eine zivilrechtliche Haftung gegenüber den Kunden. Insbesondere kommt eine kaufrechtliche Gewährleistung in Betracht. Die Nichteinhaltung bestimmter Standards kann etwa einen Mangel i. S. v. §§ 434 ff. BGB begründen, auch wenn eine durch einen Zulieferer verursachte Verletzung dieser Standards grundsätzlich nicht nach § 278 BGB zurechenbar ist.

 

Betreffende Regressmöglichkeite

Sowohl bei Schäden in Form einer eigenen zivilrechtlichen Haftung als auch in Form von Bußgeldern, Reputationsverlusten oder Geschäftsanpassungen stellt sich die Frage, ob und inwieweit (unter Zugrundelegung des deutschen Rechts) ein Regress von Zulieferern verlangt werden kann, die bestimmte Standards missachtet haben.

Ein Problem in Bezug auf mögliche Bußgelder als Schaden ist, dass diese wegen eines Verstoßes gegen die Sorgfaltspflichten und nicht wegen der Verletzung von Menschenrechts- oder Umweltstandards selbst verhängt werden. Daher handelt es sich nicht um einen durch den Zulieferer, sondern um einen selbst verursachten Schaden, der aus der Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten hervorgeht.

Anders verhält es sich allerdings bei Reputationsverlusten oder sonstigen Schäden. Insoweit scheiden zwar deliktische Ansprüche gegenüber Vorlieferanten regelmäßig aus, da die betreffenden Vermögensschäden grundsätzlich nicht nach dem Deliktsrecht ersatzfähig sind. Zudem stellen sowohl das LkSG als auch Grundrechte oder Menschenrechte in internationalen Abkommen keine Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB dar.

Vertragliche Regressansprüche des Unternehmens gegen den Zulieferern können aber – jedenfalls bei Abschluss entsprechender vertraglicher Vereinbarungen – begründet sein. Voraussetzung für einen vertraglichen Ersatzanspruch ist die Einbeziehung der Einhaltung von menschenrechts- oder umweltbezogener Pflichten in den jeweiligen Vertrag.

Daneben können Regressansprüche bestehen, die auf der kaufrechtlichen Gewährleistung des Unternehmens gegenüber seinen Endabnehmern beruhen. Zu berücksichtigen sind dann auch die Besonderheiten nach § 445a BGB, die die Geltendmachung von Regressansprüchen innerhalb von Lieferketten erleichtern sollen.

Eine kaufrechtliche Haftung des Zulieferers kann bestehen, wenn etwa die menschenrechtswidrige oder umweltschädigende Herstellung der Kaufsache der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit widerspricht, da die Einhaltung der Standards in Compliance-Klauseln festgelegt wurde. Auch könnte ein Mangel wegen betreffender Werbung zur Einhaltung von Standards begründet sein, wobei dies eher im Verhältnis zu Kunden als zu Zulieferern eine Rolle spielen dürfte, jedoch ebenfalls nicht auszuschließen ist.

 

Anstehende Änderungen durch die europäische Lieferkettenrichtlinie

Die Fragen von Ansprüchen wegen Verletzung von Lieferkettensorgfaltspflichten dürften sich in Zukunft häufen. Am 23.02.2022 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (engl. Corporate Sustainability Due Diligence Directive [CSDDD]) vorgelegt.

Im Gegensatz zum LkSG sieht der Richtlinienentwurf eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen für unzureichende Präventions- oder Abhilfemaßnahmen ausdrücklich vor (Art. 22 Abs. 1 CSDDD-E). Dies birgt unübersichtliche Haftungsrisiken: Der Umfang der Haftung ist aufgrund zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe (z. B. wann von haftungsausschließenden „angemessenen“ Maßnahmen gesprochen werden kann) sowie bislang dem nationalen Gesetzgeber überlassenen Fragen (z. B. zur Beweislast) noch offen.

Auch soll nach Art. 22 Abs. 3 CSDDDE die Haftung des Zulieferers unberührt bleiben, wobei offen ist, ob es sich hierbei um eine gesamtschuldnerische Haftung handelt oder wie das Innenverhältnis zum Zulieferer aussieht. Somit dürften sich Fragen in Bezug auf die eigene Haftung sowie auf berechtigte Regressansprüche vermehrt stellen.

Fazit

Die dargestellten Beispiele verdeutlichen, dass es eine Standardlösung für Fragen der Anspruchsdurchsetzung in internationalen Lieferketten nicht gibt. Sowohl die tatsächlichen Störungen in der Lieferkette als auch die Schäden und die vertraglichen Regelungen unterscheiden sich stark in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation. Die „richtige“ Lösung ist jeweils die, die zu einer Minimierung der unternehmerischen Risiken führt. Eine Einzelfallbetrachtung ist unabdingbar.

Der Autor

Dipl.-Reg.-Wiss. Katharina Klenk-Wernitzki ist Rechtsanwältin und Diplom-Regionalwissenschaftlerin Ostasien (China) bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Sie spricht Chinesisch (Mandarin) und verfügt als Counsel im Complex Disputes & China Team von Luther über langjährige Erfahrung in komplexen, internationalen Streitigkeiten, speziell in Lieferkettenstreitigkeiten. Sie berät und vertritt nationale und internationale Mandanten in sämtlichen Fragen der zivilprozessualen, schiedsgerichtlichen und alternativen Streitbeilegung.

Tel.: +49 221 9937 25741
E-Mail: katharina.klenk@luther-lawfirm.com
www.luther-lawfirm.com

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