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EXPORT UND LOGISTIK

Materialengpässe oder Entspannung?

Echte Erholung sieht anders aus, eine Zweiteilung der Industrie ist zu erkennen

Text: Wolfgang Rieß | Foto (Header): © Login – stock.adobe.com

Immer noch knapp jedes dritte deutsche Industrieunternehmen klagt weiterhin über Materialknappheit. Laut ifo-Institut berichteten im Juni 2023 31,9 % (Vergleich Mai: 35,3 %) über Engpässe. Somit wird der langfristige Mittelwert von 15,2 % um mehr als das Doppelte übertroffen. Zudem kann die Entspannung kaum über den Stimmungsabschwung in der Industrie hinwegtäuschen. Aufträge können zwar wieder schneller abgearbeitet werden, aber im Moment kommen spürbar weniger Aufträge herein.

Auszug aus:

Zoll.Export
Ausgabe Oktober 2023
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Die nachhaltige Störung der globalen Lieferketten hat die deutsche Wirtschaft seit Beginn der Corona-Krise erheblich belastet. Von Anfang 2021 bis Mitte 2022 konnten wegen Lieferengpässen Güter im Wert von knapp 64 Mrd. Euro nicht hergestellt werden.

Vor allem die Corona-Politik der Volksrepublik (VR) China hat nicht nur China selbst stark in Mitleidenschaft gezogen, sondern hatte ihre Auswirkungen auf der ganzen Welt. Zuerst die Null-Covid-Strategie, während der wochen- und monatelang gar keine Warenlieferungen mehr erfolgten, und dann die gegenteilige Strategie, durch die das Land mit einer extremen Infektionswelle massiv geschwächt wurde. Je nachdem wie sich Corona zukünftig in China entwickelt, könnte es auch wieder zu Rückschlägen kommen.

Ein Folgeeffekt der Corona-Krise und der gestörten Lieferketten war, dass die Unternehmen auf breiter Front enorm hohe Lagerbestände aufgebaut haben, um im Falle von weiteren Störungen der Lieferketten handlungs- und lieferfähig zu bleiben. Dieser Maßnahmen führten ebenfalls zu einer spürbaren Verknappung der Materialien in vielen Branchen, und sämtliche verfügbaren Lagerflächen wurden gefüllt.

 

Unangenehmer Nebeneffekt

Die steigenden Materialläger belasteten den Cashflow der Firmen und beeinträchtigten die Jahresergebnisse erheblich. Parallel dazu seien Gespräche mit Kunden zur Weitergabe der Mehrbelastungen aus Material- und Energiepreisen intensiviert worden. Preisanpassungen als Folge von Materialknappheit waren und sind für viele Unternehmen unausweichlich gewesen. Insgesamt hat jedes dritte Unternehmen die Preise erhöht. Und nicht einmal, sondern mehrmals in den vergangenen zwei Jahren.

Gefüllte Auftragsbücher durch die Pandemie

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Lieferengpässe haben zu einem erheblichen Auftragsstau bei vielen deutschen Unternehmen geführt. Von diesem Rückstau, verbunden mit wieder besser funktionierenden Lieferketten, konnte die Industrie in den Jahren 2021, 2022 und auch zu Beginn 2023 noch gut zehren. Nach der Pandemie lag die Reichweite des Auftragsbestands der vom ifo befragten Firmen bei 4,3 Monate Produktion, und das war deutlich mehr als der langjährige Schnitt von 2,9 Monaten. Dadurch werden rückläufige Auftragseingänge erst später spürbar und schlagen nicht unmittelbar durch.

Und jetzt? Jetzt spüren wir einen gewissen Abschwung! Ein Abschwung, bei dem sich nicht nur die Experten die Frage stellen, wie stark dieser ausfallen wird. Ist ein relativ milder Abschwung zu erwarten oder erleben wir eine Mega-Rezession? Hierbei kommt erschwerend hinzu, dass aktuell kaum quantifizierbare Prognoserisiken im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg definiert werden können.

Die weltweit steigenden Zinsen tragen ebenfalls nicht zum Wachstum der Wirtschaft bei, und auch eine sich langsam erholende Materialverfügbarkeit kann nicht über die angespannte Lage hinwegtäuschen, denn hier ist eine Zweiteilung in der Industrie erkennbar.

 

Lage in der Industrie von Branche zu Branche unterschiedlich

Am stärksten leiden weiter Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten unter dem Materialmangel. 92 % der Unternehmen geben an, mit spürbaren Engpässen bei Rohstoffen und Vorprodukten zu kämpfen.

Die Schlüsselbranchen Maschinenbau und Automobilindustrie mit 75 %, die Chemische Industrie mit 61 %, gefolgt von der Elektroindustrie, in der jedes zweite Unternehmen über zu wenig Material klagt, können keine Entspannung vermelden. Insbesondere fehlen Chips und Halbleiterprodukte. Auch in diesem Jahr bleibt die Beschaffung von Halbleiterkomponenten die große Herausforderung.

 

Hohe Belastungen auch im Mittelstand

Eine aktuell veröffentlichte Sonderbefragung der KfW-Bank hat ergeben, dass vor allem im verarbeitenden Gewerbe und im Bau weiterhin knapp 80 % der Unternehmen von Lieferengpässen betroffen seien, der Handel gab eine Quote von 68 % an. Damit ist im Handel die Quote sogar um 5 Prozentpunkte gestiegen. Hinzu kommt im Mittelstand, dass die Unternehmen im Moment zurückhaltend bei Investitionen in neue Maschinen sind. Die Gründe hierfür sind zum einen die unsicherer werdende Auftragslage und zum anderen die enormen Verteuerungen bei Neugeräten.

Auch im Mittelstand war es unausweichlich, dass mit den Kunden Gespräche über Preiserhöhungen wegen der Mehrbelastungen aus der Material- und Energieknappheit geführt worden sind. Schlussendlich hat jedes vierte mittelständische Unternehmen spürbar seine Preise erhöht.

Nichtsdestotrotz bangen viele Selbstständige durch die Materialengpässe und die Energiekrise um ihre wirtschaftliche Existenz. „Für die Selbstständigen bleibt die Lage schwierig“, erläuterte der Leiter der ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. „Sie haben große Existenzsorgen.“ Vor allem den kleinen und mittelständischen Unternehmen machen nach Corona die Energiekrise, der Materialmangel und die hohe Inflation seit vielen Monaten dauerhaft zu schaffen. Allerdings sind die Risiken einer wirklich schweren Rezession zuletzt gesunken. Ein Grund dafür ist, dass die befürchtete Energiekrise mit Versorgungsengpässen bis hin zu möglichen „Black-outs“ nicht eingetroffen ist.

 

Und die andere Seite der Medaille?

Ja, auch diese gibt es! Und wenn wir uns noch einmal den langfristigen Mittelwert von 15,2 % ins Gedächtnis rufen, dann gibt es mittlerweile auch wieder Branchen, die unter 20 % bzw. sogar wieder unter dem Mittelwert liegen. Darunter befinden sich die Chemische Industrie (16,9%), die Hersteller von Metallerzeugnissen (15,6 %) oder die Möbelhersteller (8,8 %). Nahezu sorgenfrei sind die Unternehmen aus dem Papiergewerbe, wo die Quote lediglich noch bei 2,5 % liegt.

 

Wie geht es dem deutschen Zugpferd, dem Export?

Zusammenfassend kann man sagen: Die Zuversicht kehrt zurück. Die deutschen Exporteure hoffen darauf, dass der Handel mit den abnehmenden Engpässen wieder in Schwung kommt.

Nachdem im Frühjahr die Exporte förmlich eingebrochen sind, hellt sich die Stimmung zunehmend auf. Die Knappheit der Vorprodukte befindet sich zwar immer noch auf hohem Niveau, aber gut gefüllte Auftragsbücher tragen derzeit zur Stabilisierung der Exportstimmung bei.

Vor allem deutsche Weltmarktführer vermelden einen hohen Auftragseingang und es seien aktuell unverändert hohe Ausschreibungsaktivitäten weltweit zu beobachten. Die Elektroindustrie legt in den Exporterlösen ebenfalls zu und auch im Maschinenbau kehrt die Zuversicht zurück. Weiterhin skeptisch ist die Chemische Industrie, die keine Zuwächse erwartet. Das Gleiche gilt für die Hersteller von Gummi und Kunststoffwaren, die Autoindustrie rechnet sogar weiterhin mit einem rückläufigen Ergebnis.

 

Abwärtstrend auf dem Immobilienmarkt

Eigentlich könnten sich Immobilienkäufer über kräftig gesunkene Preise freuen. Doch gestiegene Zinsen für Baukredite und die hohe Inflation bremsen die Träume von den eigenen vier Wänden. Wir sehen gerade den stärksten Preisrutsch für Wohnungen und Häuser seit 23 Jahren! Im ersten Quartal sanken die Wohnimmobilienpreise nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um durchschnittlich 6,8 % gegenüber dem Vorjahresquartal. Einen solchen Preisrückgang, innerhalb eines Quartals hat es seit Beginn der Auswertungen im Jahr 2000 nicht gegeben.

Die größten Rückgänge im Vergleich zum Vorjahresquartal wurden in Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf verzeichnet. Hier verbilligten sich Ein- und Zweifamilienhäuser um 10,4 %, für Wohnungen musste 6,4 % weniger gezahlt werden als im ersten Quartal 2022.

Jetzt könnte man meinen, dass die Immobilienmedaille endlich einmal auf die Seite der Käufer fällt und diese einen Grund zum Feiern hätten. Weit gefehlt! Denn jetzt können sich viele Menschen den Erwerb der eigenen vier Wände nicht mehr leisten, weil kräftig gestiegene Bauzinsen die Kredite stark verteuert haben. Hinzu kommt die hartnäckig hohe Inflation, die die Kaufkraft der Menschen verringert. Das Neugeschäft der Banken mit Wohn-immobilienkrediten an Privatleute liegt seit Monaten am Boden, im April brach es laut Bundesbank-Daten abermals um rund die Hälfte ein.

Was ist die Konsequenz daraus? Viele Käufer und Verkäufer warten ab, und beide Seiten sind auf der Suche nach einem neuen Preisgleichgewicht. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass trotz der Rückgänge die Preise für Wohnimmobilien im Jahre 2023 im Schnitt um knapp 92 % höher liegen als 2010. Und die Nachfrage nach Wohnraum bleibt hoch, nicht zuletzt wegen der hohen Zuwanderung. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) hat eingeräumt, dass die Ampel-Koalition das Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen verfehlen wird.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie erwartet, dass dieses Jahr maximal 250.000 Wohnungen fertig werden nach 295.300 Einheiten im vergangenen Jahr. Der Branchenverband ZIA geht davon aus, dass 2025 rund 700.000 Wohnungen fehlen werden. Der Druck auf die Mieten wird hoch bleiben, und das hat natürlich auch Auswirkungen und Folgen für die Konjunkturstütze Bau. Die Auftragsflaute setzte sich im Juni fort. Das Bauhauptgewerbe verzeichnete nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bereinigt um Preiserhöhungen (real) weniger Aufträge – sowohl zum Vormonat (minus 1,3 %) als auch im Vergleich zum Juni des Vorjahres (minus 10,3 %).

Hohe Preise, hohe Belastungen und Materialengpässe! Alleine durch den Mangel an Materialien sind in der Industrie und im Baugewerbe im Jahre 2022 76.000 Jobs verloren gegangen und die Anzeigen auf Kurzarbeit haben sich um 446.000 erhöht.

Die Branchenverbände fordern „sofort spürbare“ Investitionsanreize für private und institutionelle Anleger. Wenn das nicht geschieht, wird die Branche dauerhaft Fachkräfte verlieren, und von nicht besetzbaren Ausbildungsstellen wollen wir gar nicht erst sprechen.

 

Was tun gegen die schwierigen äußeren Einflüsse, v. a. die Materialengpässe?

Eines ist klar: „Operative Feuerwehreinsätze“ im Einkauf, mit Telefonaten, Krisenmeetings und dem Hinterherjagen von Teilen und Materialien, wie wir es aus vergangenen Krisen kennen, reichen dieses Mal nicht aus. Warum?

  • Die Störungen wirken sich durch die Globalisierung viel stärker aus.
  • Der größte Konkurrent um Rohstoffe ist China, deren Wirtschaft in den letzten zehn Jahren um insgesamt 93 % gewachsen ist.
  • Die vernetzte Welt, die Digitalisierung, verlangt nach mehr und mehr Elektrokomponenten.

Aus meiner Sicht muss die Situation strukturell angegangen werden.

Lieferanten
Prüfen Sie mit Ihren Lieferanten, warum nicht bzw. spürbar zeitversetzt geliefert werden kann. Liegt es an der fehlenden Kapitaldecke zur Vorfinanzierung? Liegt es an den Vorlieferanten? Benötigen Ihre Lieferanten klare und bindende Rahmenverträge?

Preisgestaltung
Bei der aktuellen Ungewissheit, wohin sich die Preise entwickeln werden, können Sie auch keine Preisfixierungen bei Ihren Lieferanten erwarten. Legen Sie Preise fest, die Preisgleitklauseln und Indexkoppelungen beinhalten. Somit ist das Risiko auf beide Seiten verteilt und keiner muss Angst haben, zu viel Risiko zu tragen für etwas, was man nicht beeinflussen kann.

Lagerbestände erhöhen
Dadurch dass die Verzinsung kaum noch Geld bringt, ergeben niedrige Lagerbestände im Grunde keinen Sinn mehr, denn der entgangene Gewinn aus fehlenden Umsätzen wiegt viel höher. Darum erhöhen Sie lieber den Lagerbestand, um wiederkehrende Durststrecken besser überwinden zu können.

 

Fazit

Meiner Meinung nach stehen wir am Anfang eines neuen Wirtschaftszyklus, und der heißt „dauerhafter Mangel“. Corona war der Auslöser, und seitdem befinden wir uns im Dauerzustand der Krisenbewältigung. Wichtig ist jetzt, nicht zu lamentieren, sondern die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, und die lauten, die Krisen strukturiert zu bekämpfen, denn sonst fressen uns die äußeren Einflüsse auf.

Themenblöcke wie das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)“, den „CO2 – Grenzausgleichsmechanismus (CBAM)“ sowie die „Sustainable-Finance-Regelung“ fordern der Wirtschaft viel ab. Es bedarf einer offenen und strategischen Industrie- und Handelspolitik der EU, damit die Unternehmen beim Einkauf der wichtigsten Rohstoffe und Vorprodukte flexibel agieren können, denn die globalen Lieferketten der deutschen Unternehmen waren selten so unter Druck.

Der Autor

Wolfgang Rieß ist Speditionskaufmann und Betriebswirt mit Schwerpunkt Logistik. Er setzte sowohl in der Industrie als auch bei Dienstleistern internationale Projekte um, und ist Inhaber der Rieß Consulting.

Kontakt:
Tel.: 08207 90223
E-Mail: wolfgang.riess@riessconsulting.de

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