Mythos Zolltarifnummer - zoll-export.de
EXPORT- UND ZOLLPRAXIS KOMPAKT

Mythos Zolltarifnummer

Welche Chancen und Herausforderungen bietet KI für die Zolltarifierung?

Text: Bernhard Morawetz | Foto (Header): © Slowlifetrader – stock.adobe.com

Die Zolltarifnummer zählt zu den Kerninformationen jeder Zollanmeldung. Weitere Bereiche wie Präferenzen, Sanktionen und auch die neue Nachhaltigkeitsregulierung wie CBAM oder DEFORESTATION nutzen sie als Fundament. Demgegenüber wird die Tarifierung von vielen als sehr aufwändig, komplex und als „Machen-wir-nebenbei-Tätigkeit“ gesehen. Was ist die Basis für die Zolltarifierung und inwieweit kann KI jetzt schon dabei helfen?

Auszug aus:

Zoll.Export
Ausgabe Juni 2024
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Seit knapp 20 Jahren beschäftige ich mich in der Anmeldepraxis, in Projekten und der Beratung im Zollbereich mit der Ermittlung der Zolltarifnummer. Leider sind in vielen Betrieben die Grundlagen der Tarifierung nicht oder nur rudimentär bekannt. Was meine ich damit konkret?

„Geerbte Zolltarifnummern“
Die Zolltarifnummern wurden häufig im Artikelstamm vor langer Zeit mal geprägt und dann von Sachbearbeiter-Generation zu Sachbearbeiter-Generation „vererbt“. Oder sie werden gerne ungeprüft vom Lieferanten übernommen, obwohl dies ja die Spedition bei der Einfuhr macht. Jährliche Änderungen und Updates bei den Zolltarifnummern werden nicht konsequent verfolgt, auch weil der manuelle Aufwand neben dem Tagesgeschäft nicht aufgefangen werden kann.

„Blaue Briefe“ vom Zollamt
Die Zollämter sind ihrerseits verstärkt dazu übergangen, die Zolltarifnummern und die dazugehörigen Warenbeschreibungen genauer zu prüfen, und lehnen daher immer häufiger Zollanmeldungen bei unzureichenden Angaben ab. Zunehmend werden bereits abgeschlossene Zollanmeldungen überprüft und die Ausführer bzw. Inhaber der vereinfachten Zollanmeldung SDE, früher ZA (Zugelassener Ausführer), erhalten einen Brief mit dem Betreff „Mängel in der Ausfuhranmeldung“. Einen weiteren Trend stellen die bereits erwähnten Regulierungen dar, die seitenweise Anhänge mit Zolltarifnummern beinhalten. Stellvertretend seien hier das Russland-Embargo und CBAM genannt, der ab 2027 im Bereich der Zolltarifnummern auf weitere Zolltarifbereiche ausgedehnt werden soll. Zu allem Überfluss hat das Statistische Bundesamt in den Intrastat-Meldungen für EU-Lieferungen angefangen, Zolltarifnummern zu überprüfen. Also müsste man eigentlich den in die Jahre gekommenen Artikelstamm mit über 1.000, 10.000 oder 100.000 und mehr Sachnummern im System zeitnah überprüfen. Aber wie soll man das noch im Tagesgeschäft unterbringen? Hier könnte eine spezielle Unterstützung durch KI tatsächlich sinnvoll eingesetzt werden, um die Prozesse zu beschleunigen, die Transparenz und Stabilität in den Stammdaten zu erhöhen und den manuellen Dokumentationsaufwand zu senken.

 

Die Warenbeschreibung oder das Problem mit den Stammdaten

Bevor man über KI im Zollbereich nachdenkt, muss man sich über die Grundlagen der Tarifierung und seine eigenen Stammdaten bewusst werden. Daher folgt ein kurzer Exkurs in die Grundlagen der Tarifierung.

Um eine 8-stellige Zolltarifnummer für die Ausfuhr, Intrastat oder Embargoauswertung aus dem „Warenverzeichnis für die Außenhandelsstatistik“ auszuwählen, sind sechs „Allgemeine Vorschriften zur Auslegung des Warenverzeichnisses (AV)“¹ zu berücksichtigen.

Allgemeine Vorschrift 1 legt fest, dass der Wortlaut der Zolltarifpositionen die Basis der Tarifierung ist. Die Zolltarifposition umfasst die ersten vier Stellen der Zolltarifnummer und kann als Warengruppe übersetzt werden. Das Warenverzeichnis enthält aktuell 1.228 Zolltarifpositionen und 9.763 Zolltarifnummern als 8-Steller. Die Auswahl ist groß genug. Kurz gesagt: Die Vorschrift verlangt, dass man über die eigene Artikelbezeichnung auf die entsprechende Zolltarifposition kommt, getreu dem alten lateinischen Spruch „Nomen est Omen“. Sollte das Produkt ein Relais, ein Blouson, ein Kunststoffrohr sein, muss die jeweilige Zollbezeichnung „matchen“. Diverse Nummern, wie Teile zur Maschine oder sog. Sammelnummern im Warenverzeichnis, können dann nicht verwendet werden.

Die Warenbeschreibung bestimmt die Zolltarifnummer. In vielen Fällen werden weitere technische Parameter wie Länge, Breite, Dicke, Stromstärke, Gewicht bzw. Anteile, Materialangaben, Werkstoffe und Legierungen benötigt. In vielen Artikelstämmen sind die vorhandenen Informationen dann schon etwas dürftig.

Die Zollbehörden verlangen neben der korrekten Zolltarifnummer eine Warenbeschreibung zur Zolltarifnummer. „Es ist die übliche Handelsbezeichnung der Waren anzugeben. Für die Versendungs-/Ausfuhrförmlichkeiten muss die Warenbezeichnung alle erforderlichen Angaben enthalten, die zur Identifizierung der Waren notwendig sind. Diese Bezeichnung muss so genau sein, dass die Einreihung der Ware in das ‚Warenverzeichnis für die Außenhandelsstatistik‘ möglich ist.“² Nicht geeignet sind z. B. Artikelbezeichnungen wie „FP-3m-T25“, „Zubehör“, „Kunststoffwaren“, „Chemikalien“ oder „Werkzeuge“.

Die Allgemeine Vorschrift 3a bestimmt zudem: „Die Position mit der genaueren Warenbezeichnung geht den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vor“. Unpräzise Angaben erschweren es sowohl der Zollbehörde als auch einer KI, eine Zolltarifnummer zu ermitteln.

Bei der Artikelanlage berücksichtigen Sie daher bitte, dass im Artikelstamm die entsprechenden Informationen für die Tarifierung zu hinterlegen ist. Andernfalls tritt der Effekt „den Letzten beißen die Hunde“ ein, da die Versandabteilung die Zolltarifnummern erst kurz vor oder bei der Anmeldung recherchiert. Dies erhöht automatisch den Stress- und Fehlerfaktor und verbraucht mehr Arbeitszeit, als wenn man die Zolltarifnummer gleich am Anfang des Materialanlageprozesses mitgepflegt hätte. Schließlich müssen wieder Rückfragen an Technik, Einkauf, Produktmanagement, Produktion oder Forschung und Entwicklung gestellt werden.

 

Weitere Hilfsmittel und KI-Anwendung

Bevor man die Flinte voreilig ins Korn wirft, sei angemerkt, dass es auch bei unvollständigen Informationen möglichist, eine Zolltarifnummer auszuwählen. Es gibt Anmerkungen, Erläuterungen im Warenverzeichnis und im Elektronischen Zolltarif Online (EZT) und nicht zuletzt auch eine Datenbank der verbindlichen Zolltarifauskünfte³ des Zolls, die nach einer häufig zeitaufwändigen Recherche durchaus zum Ziel führen können.

Das Statistische Bundesamt hat eine kostenlose Suchmaschine⁴ für die Recherche von Zolltarifnummern ins Netz gestellt. Insbesondere in den eher technisch-funktionsgeprägten Bereichen, in denen oft keine Werkstoffe oder Materialien für die Ermittlung der Zolltarifnummer benötigt werden, lässt sich mithilfe der genannten Seiten eine Lösung für den Einzelfall finden. Der Zeitaufwand dafür ist allerdings enorm. Das Wechseln von einer Website zur anderen, das Nutzen einfacher Suchfunktionen, das Optimieren von Stich- oder Schlagworten und manchmal auch „try and error“ sorgen für einen Arbeitsaufwand von 10 bis 30 Min. pro Produkt, wenn nicht mehr. Sollte man schneller sein, hatte man durchaus Glück gehabt oder schon ordentlich Tarifierungserfahrung auch für neue Produkte. Mit diesem Aufwand wird man keinen Artikelstamm über x-tausend Produkte ohne zusätzliche Personalressourcen prüfen können. Auch Artikelstämme, die monatlich um Dutzende oder mehrere Hundert Artikelpositionen wachsen, sind im Tagesgeschäft kaum zu bewältigen.

Bei den „Neuartikeln“ sind nämlich nicht nur die verkaufsfähigen Artikel gemeint, sondern auch Baugruppenpositionen, die später einmal als Ersatzteil wieder wichtig werden können, insbesondere auch Vor-, Roh-, Hilfs- und Einkaufsmaterialien, die inner- und außerhalb der EU beschafft werden. Da diese im Bereich des Einkaufs, der Material- oder Betriebsplanung angesiedelt sind, fristen sie häufig ein „Schattendasein“. Aber auch die zuletzt genannten Artikel, die hoffentlich nicht nur per „Dummy-Nummer“ bestellt werden, müssen aufgrund der neuen Nachhaltigkeitsregulierungen gesichert ermittelt und dokumentiert werden.

Der Einsatz von KI in der Tarifierung muss sowohl die Beschaffung als auch den Vertrieb umfassen, eine entsprechende Beschleunigung in der Recherche ergeben, die Zollvorschriften berücksichtigen und sowohl für den User als auch für die Zollbehörde nachvollziehbar sein. Und wenn die KI auch noch die Änderungen zum Jahreswechsel verarbeiten bzw. umsetzen könnte, dann hätte man in der Praxis ein sehr gutes Werkzeug, um die Arbeitszeit in den Fachbereichen zu verkürzen.

 

Fragestellungen für Praxiseinsatz der Tarifierungs-KI

Aktuell sind KI-Modelle wie ChatGPT in aller Munde, wobei der Eindruck entsteht, dass ChatGPT so gut wie alles kann – Tarifierung allerdings nicht. Dafür ist es auch nicht gemacht worden. ChatGPT ist eine „general AI“, also eine „allgemeine KI“. Eine solche soll viele verschiedene Probleme lösen oder bei der Lösung helfen. Tarifierung von Waren ist für diesen KITyp zu speziell. Hier bräuchte es eine andere, engere KI, eine sog. „narrow AI“.

Die gute Nachricht ist: Es gibt bereits verschiedene Tarifierungs-KI-Anbieter – mit unterschiedlichen Ansätzen, Funktionen und Bedienoberflächen inkl. Kosten. Die Bandbreite reicht dabei von den etablierten ATLAS-Schnittstellenanbietern, über ERP-Systemhäusern bis hin zu unabhängigen KI-Spezialisten. Die „schlechte“ Nachricht ist, dass es eine Patentlösung für jede Firma aktuell noch nicht gibt. Man muss die Systeme jeweils mit seinem Artikelstamm testen und dann die Ergebnisse miteinander vergleichen.

Deshalb sollten Sie bei der Auswahl bzw. Vorbereitung eines KI-Einsatzes unbedingt folgende Punkte genau prüfen:

  • Worauf basiert die Tarifierung der KI?
    – auf Zollregeln, vZTA, EZT-Online-Erläuterungen?
    – auf der Suche in Webshops? Findet man dort wirklich die Zolltarifnummer für „Vakuumzellen“ oder „Eckumlenkungen“?
    – auf historischen Daten des Unternehmens und die Software berechnet eine Zolltarifnummerwahrscheinlichkeit? Wenn die Vergangenheit überwiegend „Maschinen und Teile zu“ heißt, wird wohl die Zukunft genauso heißen.
  • „Purzeln“ einfach 8-stellige Nummern aus dem System und der User kann ihnen dann glauben oder nicht?
  • Wie sieht die Dokumentation/Nachvollziehbarkeit aus?
  • Kann die Software nur Einzelfälle oder auch Massenauswertung?
  • Bietet der Softwareanbieter Tests mit den eigenen Datensätzen an?
  • Wo stehen die Server? In Deutschland, in der EU oder den USA oder irgendwo? Stichwort Datenschutz und Exportkontrolle bzw. Technologietransfer.
  • Werden weitere Informationen bereitgestellt, wie z. B. Links zum EZT-Online bzw. vZTA-Entscheidungen, oder muss man trotzdem manuell nachsehen?

Wenn der Anbieter dann noch vollmundig verspricht: „Sie brauchen gar keine Überprüfung mehr, das geht ohne Menschen vollautomatisch und ist korrekt“, würde ich aus meiner Erfahrung heraus ganz genau hinschauen. Denn in der Praxis erlebe ich, dass interne IT-Festlegungen die Auswahl oder Bewertung zusätzlich erschweren. Wenn Schnittstelle A+ für System A nicht vorhanden ist, dann fällt die Software schon durch. Im Prinzip kann man Schnittstellen grundsätzlich programmieren. Wenn die Performance des Tools stimmt, wäre mir diese wichtiger als die Schnittstelle – sofern die Schnittstelle nicht überproportionale Kosten verursacht. Denn die Schnittstellenthematik hört sich für mich manchmal so an, als würde man das Geschenk nach der Verpackung kaufen und nicht umgekehrt, aber das ist ggf. nur die Einzelmeinung eines Zollfachmanns.

 

Eigene Erfahrungen und persönliches Fazit zur KI

Wenn man das Thema Tarifierung nicht unter dem Motto „Wie schiebe ich intern die Arbeit in andere Fachbereiche ab?“, sondern unter dem Gesichtspunkt Datenstabilität, Transparenz, Effektivität – also Arbeitsaufwandsreduzierung der Mitarbeitenden und Sicherheit in Bezug auf die gesetzlichen Bestimmungen – diskutiert, kommt man über kurz oder lang nicht um spezielle KI herum. Eher kurz als lang, denn aus Brüssel werden weiterhin Sanktionen, Verordnungen im Bereich Nachhaltigkeit, Handelsabkommen und -vorschriften auf Basis der Zolltarifnummern auf unseren Tischen landen. Dies ist auch ohne Verweis auf mögliche Bußgelder oder Zollprobleme schon eine Herausforderung bei der Umsetzung in der normalen Arbeitszeit.

Ich selbst verwende beispielsweise das Tool traideGo der traide AI GmbH in Berlin, ein benutzerfreundliches Tool, das sowohl Einzelfragen als auch Massentarifierungen bewältigen kann. Die KI begründet die Ergebnisse und bietet mit einem zusätzlichen Mausklick eine ausformulierte Dokumentation an. Es werden ausschließlich Informationen der Zollbehörden und Zolldatenbanken verarbeitet; das gibt mir Sicherheit und ist ein Garant für die Korrektheit der Ergebnisse. Und wenn Warenbeschreibung, technische Daten und Informationen für die KI nicht ausreichen, denkt sich traideGo nicht einfach Zolltarifnummern aus. Informationen lassen sich im Dialog und durch zusätzliche Fragen oder Hinweise der KI anreichern und über Datenblätter bzw. Websites mit Produktinformationen die Tarifierung beginnen oder weiterführen. Wenn ich als geübter Tarifierer, der sich über viele Jahre in Projekten durch 6-stellige Materialstämme in Excel „gekämpft“ hat, für Zolltarifnummern 3 bis 5 Min. benötige, schafft traideGo das Gleiche in weniger als 1 Min. und das auch noch mit formulierter Begründung. In der Praxis ist der Dokumentationsaufwand nicht zu unterschätzen, denn wer erinnert sich noch sechs Monate später, was man tarifiert hat. Eine Einbindung in den Materialpflegeprozess und für größere Datenmengen ist ebenfalls möglich.

Mein persönliches Fazit ist, dass man für den Einsatz von KI in der Tarifierung viele Materialstämme testen und Performance vergleichen muss. Traide AI sollte zumindest in der Testauswahl für die Tarifierung dabei sein.

Quellenangaben
¹ Statistisches Bundesamt (Hg.): Warenverzeichnis für die Außenhandelsstatistik, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Methoden/Klassifikationen/Aussenhandel/warenverzeichnis-aussenhandel-2024.html.
² Zoll (Hg.): Merkblatt zu Zollanmeldungen, summarischen Anmeldungen und Wiederausfuhrmitteilungen – Ausgabe 2024, S. 37.
³ Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/taxation_customs/dds2/ebti/ebti_home.jsp?Lang=de.
⁴ Abrufbar unter: https://destatis.3ce.com.

Der Autor

Bernhard Morawetz ist Fachkaufmann für Außenwirtschaft, Mitglied des DIHK Außenwirtschaftsausschusses und seit 26 Jahren im Bereich Zoll & Export tätig, berät und schult v. a. mittelständische Firmen bei der Strukturierung von Zollprozessen, Tarifierungs- und Exportkontrollfragen.

Kontakt:
Tel.: 05425 933 321
E-Mail: bmorawetz@morawetz-beratung.de
www.morawetz-beratung.de

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