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Nachhaltigkeit & Außenhandel

Der Einfluss des Welthandels auf globale Nachhaltigkeitsziele

Text: Stefanie Sabet | Foto (Header): © faithie – stock.adobe.com

Im Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung voraussichtlich 9 Mrd. Menschen umfassen. Aufgrund der limitierten Ressourcenverfügbarkeit werden die Versorgung und das Einkommen aller ohne einen nachhaltigen Außenhandel nicht möglich sein.

Auszug aus:

Zoll.Export
Ausgabe August 2020
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Durch die Teilnahme am internationalen Handel können sich Länder mit Waren oder Dienstleistungen versorgen, die sie selbst nicht besitzen oder nicht ohne erheblich höhere Kosten erzeugen können. Die durch den Außenhandel implizierte Arbeitsteilung zwischen zwei oder mehreren Ländern schafft gleichzeitig Wechselwirkungen auf die jeweiligen ökologischen, sozialen oder ökonomischen Rahmenbedingungen, z. B. die Ressourcenverfügbarkeit, Arbeitsbedingungen oder Einkommen.

 

Die 17 Entwicklungsziele

Auch die Vereinten Nationen sehen im Zusammenspiel von Außenhandel und Nachhaltigkeitszielen Potenziale und Herausforderungen. Mit der „Agenda 2030“ haben im September 2015 alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 17 Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) zu drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Soziales, Umwelt und Wirtschaft – für Entwicklungsländer, Schwellenländer und Industrieländer gleichermaßen verabschiedet.

Die „Agenda 2030“ leitet die Nachhaltigkeitspolitik und zielt wesentlich auf die Beendigung von Armut und Hunger, auf den Erhalt von Ökosystemen, Umwelt und Ressourcen sowie auf die Sicherung von Menschenrechten, Einkommen und Wachstum.

Viele der 17 SDGs weisen einen direkten Bezug zum Außenhandel auf. So soll ein gleichberechtigter Zugang aller Länder zu natürlichen wie wirtschaftlichen Ressourcen geschaffen werden (Ziel 1). Im Zusammenhang mit der Ernährungssicherung sollen die Markttransparenz im Agrarhandel und die internationale Zusammenarbeit gefördert und geeignete Maßnahmen zum Abbau von Handelsbeschränkungen und Marktverzerrungen getroffen werden (Ziel 2).

Als notwendige Bedingung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum wird auch ausreichende und menschenwürdige Beschäftigung definiert. Dafür soll die Teilhabe der Entwicklungsländer an einem fairen Welthandel gefördert werden (Ziel 8).

Am deutlichsten adressieren schließlich die Ziele 10 und 17 Anforderungen und Maßnahmen im Außenhandel für eine nachhaltige Entwicklung. So wird festgehalten, dass wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten von Ländern und Menschen einer nachhaltigen Entwicklung entgegenstehen und verringert werden müssen. Als Chance zur Verringerung internationaler Einkommensungleichheiten wird die Befähigung aller Länder zur Teilnahme am internationalen Handel angesehen.

Für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele ist die Stärkung eines universalen, regelgestützten, offenen, nichtdiskriminierenden und gerechten multilateralen Handelssystems unter dem Dach der Welthandelsorganisation (WTO) erforderlich. Dazu sollen die Exporte der Entwicklungsländer erhöht und ein WTO-konformer, zoll- und kontingentfreier Marktzugang für alle am wenigsten entwickelten Länder umgesetzt werden.

 

Herausforderungen am Beispiel des Agrarhandels

Für die Ernährungssicherheit sind sowohl der Außenhandel als auch die Nachhaltigkeit unabdingbar. UN-Prognosen zufolge wird die Weltbevölkerung im Jahr 2050 von heute 7 Mrd. auf 9 Mrd. Menschen angewachsen sein. Die Nachfrage nach und die Konkurrenz um natürliche Ressourcen und Rohstoffe nimmt dadurch zu.

Mehr Menschen müssen mit weniger Naturrohstoffen und Fläche ausgewogen ernährt werden. Folge einer immer extensiveren Nutzung natürlicher Ressourcen sind bekanntermaßen globale Umweltprobleme, wie der Verlust von Ökosystemleistungen oder biologischer Vielfalt. Diese Entwicklungen haben wiederum negative Auswirkungen auf Lebensqualität und Wirtschaftstätigkeit, wie beispielsweise Flächenkonkurrenz oder Versorgungsengpässe.

Die Lebensmittelproduktion ist unweigerlich mit Ressourcenverbrauch verbunden. Neben nachhaltigen Produktivitätssteigerungen stellt auch der Außenhandel einen wichtigen Teil der Lösung dar. Agrarhandel ist folglich schlicht ein Handel um Landfläche, Wasser und Energie.

Es gibt Länder, die ohne Lebensmittelimporte die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln nicht gewährleisten können. Zuletzt hat die Coronakrise deutlich gemacht, dass die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln weltweit systemrelevant ist und der Warenverkehr mit Nahrungsmitteln dafür zwingend aufrechterhalten werden muss, um Engpässe in der Versorgung zu verhindern.

Der stellvertretende Generaldirektor der WTO, Alan W. Wolff, brachte die Relevanz des Außenhandels für eine nachhaltige Versorgung mit einem simplen Beispiel in einer Presseerklärung am 30.04.2020 treffend auf den Punkt: „Wenn Ägypten einen Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln von 100 % anstreben würde, so würde es drei Flüsse wie den Nil benötigen, nicht nur einen.“

Nachhaltigkeit bedeutet beim internationalen Handel folglich auch, dass Produkte vorzugsweise dort angebaut und verarbeitet werden, wo der geringere Ressourcenverbrauch inkl. Transport und Lagerung entsteht. Dies hängt von den natürlichen, aber auch von technologischen Gegebenheiten ab, kann sich allerdings auch saisonal ändern. Beliebtes und oft verwendetes Beispiel ist die Klimabilanz von Äpfeln: Wer z. B. im Frühjahr Äpfel kaufen möchte, hat die Wahl zwischen gelagerten Äpfeln aus der Region oder importierten Äpfeln aus Übersee.

Die Überseeäpfel werden überwiegend Ende März gepflückt und sind anschließend vier Wochen mit einem Containerschiff zum deutschen Verbraucher unterwegs. Der Regionalapfel wurde hingegen meist im Oktober des Vorjahres geerntet und daraufhin für mehrere Monate energieaufwendig gelagert. Damit hat im Frühjahr der Überseeapfel die bessere Umweltbilanz. Dieses Prinzip lässt sich auf viele andere weltweit gehandelte Agrargüter übertragen.

Ein weiterer Aspekt sind die bestehenden Unterschiede in Angebot und Nachfrage, nicht alle Lebensmittel werden beispielsweise überall gleichermaßen konsumiert. Im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung ist es daher nur sinnvoll und nachhaltig, Produkte, die am Heimatmarkt nicht konsumiert werden, dort anzubieten, wo die entsprechende Nachfrage besteht. Die daraus resultierende Arbeitsteilung trägt schließlich auch zu Einkommen und Beschäftigung sowie wirtschaftlichem Wachstum und technologischem Fortschritt bei.

Natürlich sollte nicht nur die ökonomische und ökologische Komponente beim Agrarhandel betrachtet werden.  Ein nachhaltiger Agrarhandel bedeutet auch ein Agrarhandel, der Menschenrechte und Arbeitsstandards schützt. Besonders herausfordernd sind hier die Zulieferketten von Agrarrohstoffen aus Entwicklungs- und Schwellenländern, da diese sehr komplex sind und hier immer wieder Menschenrechtsverletzungen ans Licht kommen. Dies macht besonders die notwendige bessere Durchsetzung staatlicher Schutz- und unternehmerischer Sorgfaltspflichten für Nachhaltigkeit deutlich.

Unternehmen können in ihren Handels- und Lieferbeziehungen einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten, und zwar indem sie eine intakte Umwelt und Landwirtschaft, gute Beschäftigungsbedingungen für die Mitarbeiter sowie einen effizienten Energie- und Ressourcenverbrauch am Standort und in der Lieferkette fördern.

Für die Um- und Durchsetzung sind für Unternehmen überprüfbare Zertifizierungen und Standards oder auch die direkte Zusammenarbeit mit Vorlieferanten und Kunden Lösungsansätze. Die Staaten sind hingegen verpflichtet, einen nachhaltigen Rechtsrahmen für den Außenhandel festzusetzen.

 

Nachhaltigkeit im Außenhandel politisch besser um- und durchsetzen

Damit globale Nachhaltigkeitsziele besser um- und durchgesetzt werden können, bedarf es multilateraler Maßnahmen und schließlich gemeinsamer Regeln für einen nachhaltigen Außenhandel. Die größte globale regelsetzende Institution ist in diesem Zusammenhang die Welthandelsorganisation (WTO) mit ihren 164 Mitgliedern. Sie soll ungerechtfertigte Hürden im internationalen Handel abbauen, eine gleichberechtigte Teilnahme aller Länder am Welthandel ermöglichen und Streitigkeiten schlichten.

Die Förderung offener Märkte, insbesondere für Entwicklungsländer, steht im Einklang mit den SDGs. Das WTO-Regelrahmenwerk berücksichtigt Nachhaltigkeitsziele und gestattet es den Mitgliedern, Maßnahmen im Außenhandel zu ergreifen, die die Umwelt schützen – beispielsweise im Bereich technischer Produkteigenschaften oder in Fragen der Tier- und Pflanzengesundheit.

Dabei schließen klare Voraussetzungen protektionistischen Missbrauch aus (beispielsweise GATT Art. XX). In der Geschichte der WTO wurden bereits mehrfach Streitschlichtungsverfahren geführt, in denen die Zulässigkeit von Handelsbeschränkungen aus ökologischen Gründen diskutiert wurde.

Die WTO hat hier stets den Umweltbelangen den Vorrang eingeräumt. So wurde beispielsweise das Importverbot einiger Mitglieder für Asbest aufgrund der Gesundheitsrisiken bestätigt. In einem anderen Streitfall zum Schutz von Meeresschildkröten im kommerziellen Fischfang hat die WTO den Konfliktparteien die gemeinschaftliche Lösung des Umweltproblems auferlegt. Im WTO-Komitee zu Handel und Umwelt werden multilaterale Ansätze für Umweltfragen initiiert, so etwa die Verhandlungen zu Fischereisubventionen.

Eine ambitioniertere Marktöffnung und Verpflichtung zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele ist über den Abschluss von bi- und multilateralen Freihandelsabkommen möglich. Allein die EU hat mehr als 770 internationale Abkommen zum Agrarhandel geschlossen. Auch entwicklungspolitische Maßnahmen zielen auf Nachhaltigkeitsziele ab, so etwa die „Alles außer Waffen“-Initiative der EU aus dem Jahr 2001, welche die EU durch die radikale Abschaffung von Zöllen und Mengenbeschränkungen zu dem offensten Markt für Einfuhren aus Entwicklungsländern gemacht hat.

Im Handel mit Entwicklungsländern hat sich auch das Allgemeine Zollpräferenzsystem (APS) bewährt, um Nachhaltigkeitsziele zu adressieren. So werden die Sonderpräferenzen zum Null-Zollsatz (APS+) nur dann gewährt, wenn grundlegende internationale Übereinkommen zur Einhaltung von Menschenrechten für nachhaltige Entwicklung und verantwortungsvolle Staatsführung eingehalten werden.

Die jüngsten Freihandelsabkommen der EU enthalten ausnahmslos Nachhaltigkeitskapitel mit grundlegenden und länderspezifischen Vereinbarungen. Im Kern schreiben diese Kapitel fest, dass weder Umwelt- noch Sozialstandards zugunsten von Handel oder Investitionen abgesenkt werden dürfen. Die Handelspartner verpflichten sich zudem, die wichtigsten Übereinkommen der internationalen Arbeitsorganisation zu ratifizieren und umzusetzen. Dies hat die Ratifizierung wichtiger Regeln in Bezug auf Zwangs- und Kinderarbeit, Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz, Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen ausgeweitet.

Ebenso verpflichten sich die Handelspartner zur Umsetzung aller ratifizierten multilateralen Umweltabkommen, darunter auch das Pariser Klimaübereinkommen und die darin festgeschriebene Eindämmung der Erderwärmung. Weitere zentrale Übereinkünfte in den Nachhaltigkeitskapiteln sind Verpflichtungen zu nachhaltigem Wirtschaften und Handeln mit Erzeugnissen der Forstwirtschaft und Fischerei sowie das Verbot des illegalen Handels mit wildlebenden Tier- und Pflanzenarten zum Schutz der Biodiversität. Bis heute wurden mit 14 Ländern und Regionen derartige Nachhaltigkeitskapitel in Freihandelsabkommen abgeschlossen.

Der Abschluss der Nachhaltigkeitskapitel ist notwendig, hat die Verhandlungen von Freihandelsabkommen jedoch erschwert. Bei stark divergierenden Interessen zu Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit können Verhandlungen gar ins Stocken geraten, so geschehen in den aktuell laufenden Verhandlungen mit Indonesien aufgrund von Fragen des Palmölanbaus.

Nach dem Abschluss muss aber auch die Um- und Durchsetzung der Nachhaltigkeitskapitel erreicht werden. Dazu enthalten die Nachhaltigkeitskapitel mehrere Maßnahmen von Überprüfungsklauseln, der Einrichtung von Gremien und Sachverständigengruppen bis hin zu Streitschlichtungsverfahren. Anfänglich wurden diese Durchsetzungsmaßnahmen jedoch kaum in Anspruch genommen. „Der Abschluss der Nachhaltigkeitskapitel ist notwendig, hat die Verhandlungen von Freihandelsabkommen jedoch erschwert.“

Am 27.02.2018 stellte die EU-Kommission daher einen 15-Punkte-Plan vor, um die Um- und Durchsetzung der Bestimmungen von Nachhaltigkeitskapiteln in EUFreihandelsabkommen zu verbessern.

Darin will sie die Zusammenarbeit, Transparenz und den Einbezug der Zivilgesellschaft stärken. Abgesehen hat die EU jedoch explizit von Sanktionsmechanismen, da diese in derartigen Abkommen Gefahr laufen würden, Einigungen auf ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu verfehlen.

Vielmehr legt die EU regelmäßig Implementierungsberichte zu ihren Freihandelsabkommen vor. Zur Umsetzung der SDGs im Außenhandel hat die EU damit Maßnahmen ergriffen, die den Außenhandel nachhaltiger gestalten und die Um- und Durchsetzung verbessern. Global betrachtet bleibt dies ein Beitrag zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe.

Die Autorin

Stefanie Sabet ist Dipl.-Volkswirtin mit mehr als zehn Jahren Erfahrung in der Interessenvertretung. Seit 2017 ist sie Geschäftsführerin und Leiterin des Brüsseler Büros der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie. Im Jahr 2018 übernahm sie zudem die Hauptgeschäftsführung der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss.

Kontakt:

E-Mail: ssabet@bve-online.de

Telefon: +49 30 200786143

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