Beitrag Transportorganisation: Die Verantwortlichkeiten im Unternehmen - zoll-export.de
EXPORT- UND LOGISTIK

Transportorganisation: Die Verantwortlichkeiten im Unternehmen

Verantwortung? Nein danke! – Wenn aus Irrglauben plötzlich unangenehme Folgen resultieren

Text: Christian Schmid | Foto (Header): © Stock Rocket – stock.adobe.com

Für viele Führungskräfte in der Logistik ist eines klar: Wenn der Staplerfahrer „Sepp“ seinen Job nicht richtig macht, dann ist auch er derjenige, der die Strafe zahlen und die Punkte in Flensburg kassieren darf. Schließlich schickte man ihn auf ein Seminar. Ist das wirklich so einfach?

Auszug aus:

Zoll.Export
Ausgabe Februar 2024
Jetzt Leser/-in werden

An einem verregneten Dienstag im April 2018 führte ich ein Verlade-Audit bei einem neuen Kunden durch. Während des Audits habe ich festgestellt, dass die Versandorganisation viele Lücken hatte. Eine Kontrollorganisation gab es nicht und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden gelegentlich von einem großen Schulungsanbieter geschult.

In dem daraus resultierenden Bericht befanden sich in Summe 60 Bilder, die mit Ampeln gekennzeichnet waren. Davon waren 57 Szenarien mit einer roten, zwei mit einer gelben und nur eines mit einer grünen Ampel versehen. Besonders der Versand von gefährlichen Gütern zeigte große Defizite auf.

Nach Abgabe des Ergebnisberichts findet i. d. R. nach zwei Wochen eine Besprechung statt, um die Punkte durchzugehen und Maßnahmen zu planen. Da der Auftraggeber auf meine Terminvorschläge nicht reagierte, rief ich ihn vier Wochen später, also im Mai, an. Auf meine Angebote wollte er nicht eingehen, da seiner Meinung nach Theorie und Praxis zwei Paar Stiefel seien. Außerdem sei das alles so teuer und es interessiere niemanden.

Vier Wochen später versuchte ich nochmal SEIN Glück. Die Worte blieben die gleichen und er legte auf. Da es mir wichtig ist, meine Kunden zu unterstützen, erstellte ich einen Termin für Januar 2019 in meinem Kalender. Vielleicht käme er bis dahin zur Besinnung.

Bis Januar musste ich nicht warten. Schließlich, fast genau vier Wochen nach unserem letzten Telefonat, rief mich der Logistikleiter im Juli selbst an. Er begrüßte mich mit den Worten: „Herr Schmid, ich habe ein Problem.“ Es stellte sich heraus, dass er an diesem Tag einen Anhörungsbogen wegen mangelnder Ladungssicherung von gefährlichen Gütern erhalten hatte und in der Folgewoche ein weiterer folgen sollte. Nun wollte er von mir Schützenhilfe. Diese konnte ich ihm aber nicht geben, da er die letzten acht Wochen vorher nicht auf mich hörte. Nun stand er da, ohne Dokumentation und musste in Summe zwei Punkte im Bundeszentralregister in Flensburg sein Eigen nennen und über 1.000 Euro Strafe zahlen.

Denn in dem Anhörungsbogen stand nicht, wie erwartet, einfach formuliert: „Nennen Sie uns Ihren Verlademitarbeiter“, sondern „Das Unternehmen wird durch die Geschäftsleitung vertreten. Somit ist Verlader grundsätzlich nicht die Person, die die Tätigkeit ausführt (z. B. ein Lagerarbeiter). Ihre Verantwortung kann gemäß § 9 OWiG delegiert werden, eine solche Delegation bedingt jedoch vom Beauftragten Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben und Pflichten.“ Dadurch konnte der Logistikleiter den Anhörungsbogen nicht nach unten weiterleiten und war selbst der Leidtragende.

 

Was bedeutet der Text aus den Anhörungsbogen konkret?

Auf den ersten Blick ist das Zitat aus dem Anhörungsbogen juristisches Kauderwelsch. Daher möchte ich diese beiden Sätze für Sie übersetzen.

Grundsätzlich ist die Geschäftsführung für alle Vergehen in einem Unternehmen die hauptverantwortliche Person. Dazu zählt auch die Ladungssicherung. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat 1982 nicht den umgangssprachlichen Verlader, sondern den Leiter der Ladearbeiten mit in die Verantwortung genommen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bestätigte dies am 28.11.2007 in Zusammenhang mit einem anderen Urteil des Oberlandesgerichts Celle.

Der zweite Satz im Anhörungsbogen gibt nun der Geschäftsführung die Chance, diese „Verlader-Verantwortung“ an eine andere Person zu übertragen. Jetzt wäre es doch möglich, die Staplerfahrerinnen und -fahrer zu bestellen, oder nicht? Eher nicht. Schließlich steht „[…] für den Beauftragten Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit […]“. Eine Person, die weitestgehend selbstständig arbeitet und auch Entscheidungen treffen darf, ist nicht die Person auf dem Stapler, sondern mindestens eine Führungskraft. Besonders die Entscheidungsfreiheit ist auch innerhalb der Bestellung nach § 9 OWiG wichtig.

Sie müssen sich eine Bestellung mit der Übernahme von Unternehmerpflichten wie eine alte Apothekerwaage vorstellen. In die eine Waagschale legen wir die Pflichten und Verantwortlichkeiten. Dadurch geht diese Seite der Waage nach unten. Um wieder ein Gleichgewicht herzustellen, muss etwas in die andere Waagschale gelegt werden. Und das sind die Rechte. Dies ist z. B. das Recht, jeden Lkw oder Seecontainer abzulehnen, der nicht geeignet ist, die Ladung ordnungsgemäß zu transportieren. Erhält eine bestellte Person diese und andere Rechte nicht, so ist die Bestellung als nichtig zu deklarieren.

 

Verantwortung übertragen?

Nicht selten kommt es vor, dass selbst diese Übertragung von Rechten für einige Logistiker kein Problem darstellt und sie trotzdem die Staplerfahrer in die Verantwortung nehmen wollen. In einer solchen Situation bitte ich, über das folgende Szenario nachzudenken:

Zu Ihnen kommt ein Selbstabholer, in dessen Kaufvertrag der Incoterm® EXW, also ab Werk, ausgemacht wurde. Der Lkw steht nun in Ihrem Verladebereich, und aufgrund diverser Mängel am Fahrzeug selbst und auch an den Sicherungsmitteln lehnt die bestellte Person die Beladung ab. Der Fahrer verlässt Ihr Betriebsgelände und ruft seinen Disponenten an, um ihm den Sachstand zu melden. Nach dem Telefonat ruft der Disponent seinen Auftraggeber, also Ihren Kunden, an. Ihr Kunde wird sicher nicht begeistert sein und greift wieder zum Hörer, um mit dem Verkäufer oder sogar Ihrem Verkaufsleiter zu sprechen. Wie wird dieser wohl reagieren? Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit übt der Vertrieb einen gewissen Druck auf die Logistik und direkt auf den Entscheider aus.

Eine solche Situation ist oft für gestandene Logistikleiter und -leiterinnen schon ein Problem, da auch viele Geschäftsführer den guten (Selbstabholer-)Kunden nicht verärgern wollen. Ein Lagermitarbeiter wird in einer solchen Situation noch mehr Probleme bekommen.

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls mit zu bedenken, dass die bestellte Person die Verantwortung von der Geschäftsführung übernimmt. Also von jemandem, der ein Vielfaches von dem Verdienst hat wie die Person, die den Schwarzen Peter erhalten soll. Daher stünde ihr auch mehr Geld zu. Nun wird sich noch so mancher fragen, was das soll. Schließlich gehen die Lagerpersonal regelmäßig zu Schulungen und Weiterbildungen.

Sehr oft argumentieren Führungskräfte mit den Seminaren. In einer solchen Situation frage ich gerne nach, warum der gleiche Personenkreis einen Flurfördermittelschein besitzt. Die Antwort ist dann immer: „Damit die Leute einen Gabelstapler fahren dürfen.“ Richtig. Es geht dabei um das Dürfen. Die Person, die keinen „Staplerschein“ hat, darf keinen Stapler fahren. Die Person, die kein Ladungssicherungsseminar besuchte, darf nicht ohne Aufsicht einen Lkw laden, und die Person, die kein Container-Seminar besuchte, darf nicht ohne Aufsicht einen Container laden. Es geht einzig und allein um das Dürfen.

Viele Führungskräfte genießen es, eine gewisse Stellung in einem Unternehmen zu besetzen, und meist ist die Entlohnung für sie auch sehr angenehm. Wenn es aber um Entscheidungen geht, stellen sich die gleichen Personen oftmals tot wie ein Opossum, wenn Gefahr droht. Diesen Trend beobachte ich seit Jahren. Bevor eine Führungskraft eine harte und vielleicht sogar eine falsche Entscheidung trifft, lädt man lieber zu vielen und langen Meetings ein. Über Stunden drehen sich die Anwesenden mit ihren Aussagen im Kreis. Eine gefühlte Ewigkeit später ist das Meeting vorbei, aber eine Entscheidung gibt es immer noch nicht. Also trifft sich der gleiche Kreis am nächsten Tag oder in der nächsten Woche wieder, und das Spiel beginnt von vorn. Diese endlosen Diskussionen kosten der Wirtschaft Millionen von Euro, da die Meeting-Besucher nicht produktiv und wertschöpfend tätig sind. Es kann, nein, es darf nicht alles zu Tode diskutiert werden. Die Führungskräfte müssen wieder anfangen, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen.

Treffen Sie Entscheidungen!

Vielleicht stellen Sie sich nun die Frage, ob die verantwortliche Führungskraft auf Gedeih und Verderb dem Lagerpersonal ausgeliefert ist. Nein, ist sie nicht. Da sind wir wieder beim „Treffen von Entscheidungen“. Jetzt zeigt sich, wer ein Leider und wer ein Leiter ist. Die bestellte Person hat die Spielregeln für den Versand zu planen und zu kontrollieren. Um auch den Vorgaben des § 130 OWiG, also der gesetzlichen Verpflichtung, seinen Wirkungsbereich zu organisieren, gerecht zu werden, sind Arbeitsanweisungen zu erstellen. Darin wird aufgeführt, was das Personal zu tun hat. Sehr empfehlenswert ist es, auch Fahrzeug- und Ausrüstungsspezifikationen zu definieren und als Vorgaben an die Spediteure zu schicken. Zu guter Letzt wird eine Kontrollorganisation beschrieben und gelebt.

Um dies zu vereinfachen, gehen wir davon aus, Ihr Unternehmen hat über den Staplerfahrern einen Teamleiter, der als Leiter der Ladearbeiten bestellt ist, und eine Logistikleiterin. Das Verladepersonal kontrolliert jeden zu beladenden Lkw oder Seecontainer. Der Versandleiter kontrolliert 10 bis 20 % der Verladungen. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Eignung der Beförderungseinheit, den mitgeführten Hilfsmitteln und der Einhaltung der Arbeits- bzw. Verladeanweisungen. Die Logistikleiterin kontrolliert einmal im Monat die Anzahl der Kontrollen des Versandleiters und analysiert, wo die Probleme liegen, um diese abzustellen.

Des Weiteren empfehle ich immer eine zusätzliche Kontrolle je Halbjahr von einer externen Person. Diese muss nicht zwangsläufig ein Unternehmensfremder sein. Dies kann ggf. auch eine Fachkraft für Arbeitssicherheit übernehmen. Wichtig ist nur, dass er oder sie nicht die rosarote Logistikbrille trägt und somit betriebsblind ist. Noch ein letzter Tipp am Rande. Der größte Unterschied zwischen einem Unternehmen, das seinen Versand voll im Griff hat, und einem, bei dem es drunter und drüber geht, ist die situative Unterweisung. Was es damit auf sich hat, erfahren Sie im Blog auf www.lkw-schmid.de.

Die Autorinnen

Christian Schmid ist Experte für das rechtssichere Handeln in der Logistik und im Vermeiden von Transportschäden. In den vergangenen zehn Jahren schrieb er mehrere Dutzend Organisationshandbücher für Unternehmen. Seine firmenspezifischen Seminare richten sich an Konstrukteure, Führungskräfte in der Logistik und deren Mitarbeitende.

Kontakt:
E-Mail: info@lkw-schmid.de
Webseite: www.lkw-schmid.de/

JETZT ABONNEMENT ANFORDERN UND KEINE AUSGABE VERPASSEN:

ZOLL.EXPORT

Die Zeitschrift für Verantwortliche
in der Zoll- und Exportabwicklung